Sonntag, 31. Juli 2011

Reise ins Nabelchakra

Als ich anfing, meine Chakras zu "bereisen", behalf ich mir zunächst mit der Vision eines festen Ortes, von dem aus ich Zugang zu allen Chakras hatte. Und zwar stieg ich im Inneren eines hohen Turms nach oben bis in einen großen, runden Vorraum mit sieben Türen. Jede Tür führte in ein anderes Chakra. Ich fand es bemerkenswert, dass ich durch jede Tür einen Raum betrat oder auch mehrere Räume hintereinander, wie im Sakralchakra, dass also jedes meiner Chakras ein richtiger Raum mit Fußboden, Decke, Wänden, Fenstern und Türen war – mit Ausnahme meines Wurzelchakras. Dort stiegen nur einzelne Bilder aus der Ortlosigkeit auf, was ja schon eine Menge aussagt.

***

Als ich zum ersten Mal mein Nabelchakra besuchte, betrat ich also wieder einen Raum, und auch dessen linke Wand wurde, wie in meinem Sakralchakra, von einem großen Fabrikfenster eingenommen. Als ich an dieses Fenster trat, blickte ich in einen Hof hinein, der von riesigen Häusern und noch riesigeren Bäumen eingeschlossen wurde.

Vor mir war alles dunkel, die zwei Bilder, die ich dann sah, wirkten eher wie Phantome. Das erste war ein Wehr, über das jedoch kein Wasser floss, sondern Öl, und das zweite war ein grob behauener Einbaum mit einem roten Plastiksitz drin.

Nachdem die Bilder wieder verschwunden waren, entdeckte ich in der rechten hinteren Ecke einen Durchgang nach draußen. Ein schmaler Feldweg führte an einem Waldrand zur Linken entlang, und rechts zog sich sanft eine große Wiese abwärts. Nach wenigen Schritten bemerkte ich, dass der Weg immer schlammiger wurde. Gleichzeitig ragten in immer dichteren Abständen lange, schwarze und nadelspitze Dornen aus der Erde hervor. Ich lief noch ein Stück weiter, doch schließlich war der Boden schon so sumpfig, dass es kein Vergnügen mehr war weiterzugehen. Vor allem aber die bedrohlichen Dornen, die so spitz waren, dass ich fürchten musste, bei einem unbedachten Schritt von ihnen aufgespießt zu werden, und die sich in immer düstereren Ansammlungen auch in den Wald hinein erstreckten, schreckten mich so ab, dass ich umkehrte und das Chakra verließ.

***

Nach meiner Erfahrung ist gerade dieses Nabelchakra bei vielen Menschen, besonders aber bei Frauen, ein Problembereich. Hier sitzen nämlich unser Ich-Gefühl und unsere Willenskraft, es ist ein emotionales Macht- und Durchsetzungszentrum, der Sitz der persönlichen Autorität. Die Durchsetzung an sich findet im Kehlchakra statt, aber im Nabelchakra hat sie ihre Wurzeln: Wir können in der Welt nur so viel von uns verwirklichen, wie wir uns innerlich als Persönlichkeit stark, kompetent und sicher fühlen. Daher sind wir hier auch am empfänglichsten für Fremdbesetzungen und Manipulationen durch andere Menschen: Wer in seiner physischen Mitte nicht gefestigt ist, wer sich selbst "klein" fühlt oder klein macht, der lädt automatisch andere zu Übergriffen ein, die sich dann mit ihrem Willen in unserem Nabelchakra einhaken können.

Diese Haken kann man auf einer Reise ins Nabelchakra sehen, wofür mein "Reisebericht" das beste Beispiel bietet: die langen, spitzen Dornen. Sie waren schwarz, und alles, was in solchen inneren Bildern schwarz ist, verweist auf eine Energie, die nicht gut für uns ist. Dort setzt auch die Heilung an. Man kann auf einer Heilreise ins Nabelchakra diese fremden Haken vorsichtig lösen und herausziehen, aber bitte nie im Zorn, nie im Groll! Was andere uns "angetan" haben, ist immer etwas gewesen, was wir für unsere Entwicklung und Selbsterkenntnis brauchten. Und wenn es noch so schmerzhaft war – ohne diese Erfahrung wären wir heute nicht, wer wir sind; ohne unsere Schmerzen hätten wir nichts über uns selbst gelernt. Heilung hat nichts mit Rache zu tun und – auch wenn das vielleicht manchen verwundern mag – nichts mit Vergebung, sondern mit Einsicht. Heilung ist Bewusstwerdung. Wenn also andere Menschen uns durch Schmerzen zur Bewusstwerdung verholfen haben, haben sie damit letztlich zu unserer Heilung beigetragen. Und sobald wir das wissen, können wir die schwarzen Haken aus uns entfernen und sie mit einem Dank an ihren Absender zurückgeben.

© Angela Nowicki, 31. Juli 2011

Samstag, 30. Juli 2011

Bully

Neila ist freiwillig ins Gefängnis gegangen, um ihrer Freundin Gesellschaft zu leisten. Das ist nun nicht mehr rückgängig zu machen. Da mag die Wärterin Bully noch so schön und blond sein, sie ist brutal und sadistisch. Sie quält die Frauen und schlägt sie, sie nimmt ihnen alles weg, was ihnen gehört oder Freude bereitet. Das Wertvollste für die Gefangenen aber ist eine schwere, alte Holztür.

Wie jeden Morgen kommt Bully in die Gemeinschaftszelle, um das Frühstück zu bringen. Eine der Frauen schreit auf. In ihrem Blechtopf mit Malzkaffee schwimmt eine lebende Kakerlake. Bully stellt sich drohend in Positur.
"Trinken!" befiehlt sie mit einer knappen Handbewegung auf die Kakerlake. Die Frau schüttelt den Kopf. Sie würgt.
"Los!" bellt Bully.
Die Frauen sehen, dass mit ihr bereits nicht mehr zu spaßen ist. Wenn die Unglückliche ihr nicht sofort gehorcht und die Kakerlake schluckt, wird sie sie schlagen. Und voraussichtlich nicht nur sie.
Neila starrt ins Gesicht der Wärterin. Dann in das der Frau. Ihre Hände ballen, ihre Arme straffen sich. Sie weiß selbst nicht, was sie tut, als sie mit drei Schritten direkt vor Bully steht.
"Nein", sagt sie. Ihre Stimme ist belegt. Sie will sich räuspern, schreit statt dessen nochmals: "Nein!"
Ohne hinschauen zu müssen, spürt sie die Körper der anderen um sich herum. Sie alle, die gesamte Belegschaft der Zelle, stehen jetzt wie eine Mauer zwischen Bully und der Mitgefangenen.
Das ist unerhört. Das hat es noch nicht gegeben. Die Wärterin steht eine kurze Sekunde lang wie versteinert und schaut ziemlich blöd drein. Dann faucht sie: "Wenn das so ist...", dreht sich auf dem Absatz um und geht.
Die Frauen sind nicht erleichtert. Sie hat nicht zugeschlagen, sie ist gegangen. Aber ihre Stimme verhieß nichts Gutes.

Etwa fünfzehn Minuten später – wer weiß im Knast schon, wie viel Zeit vergangen ist – poltert wieder der Schlüssel in der Tür. Die Tür fliegt auf. Die Frauen erstarren vor Schreck. Vor der Zellentür steht Bully mit einer Axt in der Hand, und vor ihr liegt, am Geländer abgestützt, die alte Holztür.
Dieses Mal hilft kein "Nein!", das aus zwölf aufgerissenen Mündern hervorbricht. Zwölf Frauen stehen und sehen gelähmt und bleich zu, wie die schöne, blonde Wärterin Bully ihre schwere, alte Holztür zu Kleinholz zerhackt.
"Sie hat sie getötet", denkt Neila. "Sie hat unsere Tür getötet. Jetzt werden wir jeden Morgen tote Kakerlaken trinken. Alle. Und es werden mehr Kakerlaken als Kaffee sein."
Das Schlimmste aber ist, dass ihr plötzlich klar wird, dass sie erst den ersten Tag hier war und noch einhundertzweiundachtzig solcher Tage vor sich hat.

Draußen auf dem Gefängnishof unterhalten sich die Frauen mit den anderen Gefangenen über Bully. Neilas Freundin sagt: "Ja, so sind die Rumänen." Das verblüfft Neila. Sie fragt: "Wie kommst du darauf, dass das eine Rumänin ist? Mein Freund ist Rumäne, aber die doch nicht! Glaubst du wirklich, dass Rumänen in Deutschland als Gefängniswärter angestellt werden?" Das ist plausibel, die anderen stimmen ihr zu.

Man kann man den Gefängnishof auch einfach verlassen und in die Stadt gehen, was die Frauen dann auch tun. Mit der Absicht und Angst zurückzukommen, und keine fragt sich wieso.

© Angela Nowicki, 1. Mai 2010

Freitag, 29. Juli 2011

A day in the life

... well, I just had to laugh...

Bin aus England mit einem Gipsarm zurückgekommen. Meine Hausärztin schickt mich zum Chirurgen. Dort heißt es, ich solle heute noch ab halb fünf zur Gipskontrolle kommen. Nach vier fahre ich mit dem Bus hin. Die Schnürsenkel hat mir meine Tochter zugebunden, weil ich wegen des Dauerregens keine Sandalen anziehen kann. Ich stelle mir eine Absage vor à la: "Ich kann heut nicht kommen, weil ich meine Schuhe allein nicht zu kriege."

Nach einer Stunde Warten werde ich zu einem rosa Chirurgen gerufen, der wie Quaster von den Puhdys aussieht und sich auch benimmt wie ein DJ.
"Setzen Sie sich!"
Da steht kein Stuhl.
"Sind Sie zur Notaufnahme gekommen?"
"Keine Ahnung, wo ich bin, ich bin zum ersten Mal bei Ihnen."
Er wendet sich dauerbrummelnd an die ältere, weiß gekleidete Schwester im Raum:
"Was soll denn das jetzt… jetzt ist aber mal gut… ich kann doch nicht alles machen… jetzt soll ich auch noch einen Speichenbruch…"
Auf diesem Gemurmel rudern beide aus dem Zimmer. Vorn an der Rezeption kommt es zum Stau mit Strudeln. Dann fließt alles, heiter sprudelnd, das Wehr hinunter, zurück zu mir:
"Wissen Sie, wir machen das jetzt am besten so: Wir machen den Gips einfach ab…"
… die Schere attackiert bereits…
"… der stabilisiert ja überhaupt nichts – hier!"
Triumphierend lässt er die Gipströte um meinen Arm schlabbern.
"Kein Wunder, wenn alles anschwillt…"
Zum ersten Mal seit einer Woche sehe ich meinen nackten Arm wieder. Ellenseitig beult eine dicke Schwellung am Handgelenk nach außen, und zwei riesige Blutergüsse funkeln mich in allen Farben an. Mein erster Gedanke aber ist:
"Waschen!"
Während ich zum Waschbecken gehe, verlustiert sich der Chirurg mit dem englischen Protokoll:
"A dog!" gluckert er.
"Jumped up…", kichert er.
"Pushed her!"verkündet er, mich anstrahlend, mit gar nicht mal so üblem englischen Akzent.
Dann schickt er mich zum Röntgen eine Etage tiefer.

Wieder sitze ich mit zwei weiteren Kandidaten eine Stunde lang im Wartezimmer, bis die Orthopädin ihre Sprechstunde beendet und die Schwester Zeit zum Röntgen hat. Ich bin die Letzte. Auf dem Rückweg schaue ich das Foto an. Ich kann keinen Unterschied zum englischen von vor fünf Tagen sehen. Sieht eigentlich ganz gut aus.

Obwohl die inzwischen rosa-blond gewordene Schwester oben an der Rezeption meint, ich käme sofort als Nächste dran (also nichts mit kurz Runtergehen und Rauchen), warte ich nochmals zwanzig Minuten, bis ich ganz allein im Wartezimmer sitze. Quaster hüpft fröhlich vorbei:
"So, jetzt kommt noch die Frau da dran."
Er blubbert ein Weilchen an der Rezeption weiter und nimmt mich endlich mit. Auch ihm gefällt, was er sieht, nur mit der seitlichen Aufnahme ist er nicht zufrieden, weil der Aufnahmewinkel nicht ganz stimmt. Dann geht er wieder fünf Minuten blubbern. Die letzten Sprechblasen spülen ihn zurück ins Zimmer:
"Im Westen isses immer wärmer. Im Osten is immer Scheißwetter."
Vor dem Gipsen diskutieren die zwei verbliebenen rosa Schwestern die Schlauchbreite und die neuen Gipsverbände. Quaster schreibt lustig vor sich hin.
"Gibt’s Probleme?"
"Nein."
Er hält’s aber doch nicht aus, muss mitdiskutieren. Endlich bekomme ich meinen Gips. Im Prinzip genauso wie in Cornwall, nur länger bis zur Ellenbeuge…
"Aber aufpassen, dass es nicht piekt!"
… und vorn bis über die ersten Fingerglieder, fester und mit dickerer und breiterer Gipslage. Quaster und die Schwarzhaarige sind stolz wie die Amseln auf ihren Gips. Allerdings fehlt die Ausbeulung am Gelenk. Während er aushärtet, muss ich die Handfläche auf eine Flasche legen und Ellenbogen und Handballen auf die Unterlage drücken. Die Schwarze macht ein wenig Smalltalk mit mir. Sie klopft an den Gips:
"Sehen Sie? Schon hart."
Sie kramt in einer Schublade und zeigt mir ein paar strahlend blaue Binden:
"Was halten Sie davon?"
Nicht übel. Am Ende bekomme ich sogar noch eine schwarze, ordentlich breite Schlinge, die nicht mehr in den Nacken schneidet. Wieso wissen die Allgemeinmediziner davon nichts? Die Schwester dort wollte wissen, was ich denn sonst haben wolle außer einem zusammengeknoteten Dreiecktuch.

Ich soll übermorgen ohne Termin zur Gipskontrolle kommen und am Dienstag früh – seeehr früh! – zur Chirurgin. Natürlich ist mir der Bus vor der Nase weggefahren, und ich bin über den ganzen Berg nach Hause gelaufen.

© Angela Nowicki, 3. Juni 2010

Donnerstag, 28. Juli 2011

Warten

sich ganz in sich zusammenziehen
sitzen
jeder muskel in alarmbereitschaft
jede pore ein ohr
wie haut auf erkaltender milch
gerinnt das leben der atem
eine zitternde säule
bereit zum sprung auf das

Jetzt!

das noch immer nicht kommt
immer noch nicht kommt...

© Angela Nowicki, 1978

Mittwoch, 27. Juli 2011

Aber der Verstand ist ein Messer in uns

Auf dem Küchentisch liegt ein riesiger Kohlkopf. Man muss ihn aufschneiden, um an die Füllung zu kommen. Ein Haufen gewürfelter Äpfel liegt daneben, damit kann man den aufgeschnittenen Kohlkopf provisorisch verschließen. Und ein großes, scharfes Messer.

Neila schneidet die oberste Scheibe ab - nichts, nur Kohl. Eine weitere dicke Scheibe - nichts, nur Kohl. Die dritte – immer das gleiche, nur Kohl. Neila ist irritiert. Eine Mogelpackung? Ihr tut der viele abgeschnittene Kohl leid. Es ist eine Verschwendung. Sie überlegt, was sie damit Sinnvolles tun könnte.

Endlich! Nach einer weiteren dicken Scheibe öffnet sich das Innere des Kohlkopfes. Es ist gefüllt mit heißer, appetitlicher Suppe! Die Suppe ist nicht nur heiß, sondern auch leuchtend orange und gehaltvoll. Es schwimmen säuberlich gewürfelte Brocken darin: Tomate und Fleisch und Wurst.

Nun macht Neila sich daran, die Öffnung mit den Apfelstücken zu verschließen, doch das erweist sich als sinnlos. Sie hat die ersten Würfel in das weiche Suppenufer gedrückt, aber wie soll sie die Ufer überbrücken?
Stimme aus dem Off: "Willst du das etwa mit Melonenwürfeln schließen?"
Neila: "Eigentlich schon, aber klar, das geht nicht, da muss ich mich wohl vertan haben. Womit soll ich das denn schließen?"
Ihr kommt ein Gedanke. Sie nimmt den abgeschnittenen Kohl, ein paar lange, schmale Scheiben, die zur Form der ovalen Öffnung passen. Tatsächlich lässt sie sich damit provisorisch, aber wirkungsvoll abdecken, wenn sich die Kohlscheiben auch beim Draufpacken in lange Brotscheiben verwandeln.

© Angela Nowicki, 8. Oktober 2010

Dienstag, 26. Juli 2011

HD: Die Zentren - Der Verstand

Unser innerer Energiefluss im Körper verläuft zwischen feinstofflichen Energiezentren. Am populärsten sind solche Zentren aus der indischen Chakralehre. Sie kennt unzählige kleinere Chakras, die im ganzen Körper verteilt sind, doch nur sieben Hauptchakras:
  1. Wurzelchakra (Muladhara)
  2. Sakralchakra (Svadhisthana)
  3. Nabelchakra (Manipura)
  4. Herzchakra (Anahata)
  5. Kehlchakra (Vishuddha)
  6. Stirnchakra (Ajna)
  7. Kronenchakra (Sahasrara)
Alle Chakras haben drei gemeinsame Aufgaben. Sie dienen
  • der Aufnahme energetischer Einflüsse von innen und außen,
  • der Verarbeitung und
  • der Weiterleitung dieser Energien.

Das Human Design System hat, neben den Hexagrammen des I Ging und den astrologischen Planeten, auch diese Lehre von den Energiezentren in seine Synthese übernommen. Laut der Kosmologie des HD waren wir tatsächlich einmal siebenzentrige Wesen, haben uns jedoch seit dem 18. Jahrhundert mehr und mehr zu neunzentrigen Wesen entwickelt. Diese Mutation der Menschheit ist noch nicht ganz abgeschlossen, doch tragen wir heute bereits neun Energiezentren in uns. Sie heißen
  1. Wurzelzentrum
  2. Sakralzentrum
  3. Milzzentrum
  4. Solarplexuszentrum
  5. Herzzentrum
  6. G-Zentrum
  7. Kehlzentrum
  8. Ajnazentrum
  9. Kopfzentrum
Auch wenn die Namen teilweise mit denen der Chakras übereinstimmen und es auch sonst viele Entsprechungen zwischen beiden gibt, sollte man als Anfänger im Human Design besser erst einmal alles beiseite legen, was man über die Chakras weiß, denn das HD ist ein eigenständiges Divinationssystem mit eigenen Definitionen und Gesetzmäßigkeiten. So hat es zum Beispiel auch sein eigenes I Ging erschaffen, das "Rave I Ching", dessen Texte speziell auf seine Bedürfnisse und die unserer heutigen Zeit zugeschnitten sind. Es ist immer besser, jedes System als geschlossenes Ganzes zu behandeln und nicht Äpfel und Birnen miteinander zu mischen.

Auch im Human Design dienen die Zentren im Prinzip den gleichen Zwecken wie die altbekannten Chakras. Sie sind zudem über eine festgelegte Anzahl und Anordnung von Kanälen miteinander verbunden, deren Einmündungen in die Zentren Tore genannt werden – das sind die Hexagramme des I Ging. Den generellen Unterschied zwischen definierten und undefinierten oder offenen Zentren hatte ich bereits in der Einführung ins Human Design beschrieben. Ein Zentrum, in dem Tore aktiviert sind, das aber an keinen definierten Kanal angeschlossen ist, heißt undefiniert – ein Zentrum mit ausschließlich offenen Toren ist ein offenes Zentrum. Solche Feinheiten sind jedoch zunächst unerheblich.

Die Zentren im Human Design haben unterschiedliche Funktionen. Es gibt vier Motoren (Wurzel, Sakral, Solarplexus, Herz), drei Wahrnehmungszentren (Milz, Solarplexus, Ajna), zwei Druckzentren (Wurzel, Kopf) und ein Ausdruckszentrum (Kehle).

Das KOPFZENTRUM ist ein Druckzentrum. Es sucht nach geistiger Inspiration und übt, wenn es sie gefunden hat, Druck auf das Ajna aus, damit es sie verarbeitet. Auf der körperlichen Ebene ist ihm die Zirbeldrüse zugeordnet.
Die meisten Menschen haben ein offenes Kopfzentrum, nur bei knapp einem Drittel der Menschheit ist es definiert. Wer ein definiertes Kopfzentrum hat, interessiert sich nur für seine eigenen Fragen. Es gibt ganz bestimmte Dinge, die ihn inspirieren, der Rest ist ihm gleichgültig. Solche Menschen sind dazu da, andere zu inspirieren. Ein offenes Kopfzentrum ist das, wonach es sich anhört: Es ist offen für alle Inspirationen und somit eben auch für solche, die eigentlich gar nichts mit ihm zu tun haben. Es ist anfällig für Konditionierung von außen und wird sich oft immer gerade für das interessieren, womit sich ein definiertes Kopfzentrum in seiner Nähe beschäftigt. Konditionierung an sich ist weder gut noch schlecht, natürlich kann man sich von anderen inspirieren lassen. Wenn das dann aber in einen noch viel stärkeren geistigen Druck ausartet, als die definierten Kopfzentren ihn je aufbauen können, Ideen zu verarbeiten oder Fragen zu beantworten, die einem im Grunde gar nichts bringen, dann ist das quälend und führt einen von sich SELBST weg.

Das ist übrigens ein Mechanismus aller offenen Zentren: Da sie unbeständig arbeiten, erzeugen sie einen starken Sog, eine Anziehungskraft für die ihnen entsprechende Energie von außen. Diese Energie verstärken sie dann um ein Vielfaches, ganz wie ein elektrotechnischer Verstärker. Der betroffene Mensch merkt dabei oft nicht, dass es zum großen Teil gar nicht seine eigene Energie ist, die in ihm einen solch immensen Druck erzeugt, er hält sie für seine. Daher kommt es, dass viele Einsteiger ins Human Design ihre Definitionen zunächst einmal vehement zurückweisen: "Wieso sind es nicht meine eigenen Emotionen? Ich bin doch der emotionalste Mensch der Welt!" Ja, so wirkt er auch, aber nur, weil sein offenes Emotionszentrum, ohne dass er sich dessen bewusst ist, eben ständig alle verfügbaren Emotionen aus der Umgebung ansaugt, um das Vielfache verstärkt und als seine eigenen wieder ausgibt. Deshalb wirken z.B. Menschen mit einem offenen Emotionalzentrum meist viel emotionaler als die mit einem definierten.
Das ist das Geheimnis der Anziehungskraft. In einem in sich geschlossenen System fließt der Strom ruhig und gleichmäßig, er kann höchstens einmal blockiert werden. Sobald das System sich jedoch für alle möglichen Zuströme öffnet, kommt es automatisch zu Turbulenzen, Stauungen und viel heftigeren Bewegungen. An dieser Stelle möchte ich noch einmal nachdrücklich betonen, dass es im Human Design keine Wertungen gibt. Ein definiertes Zentrum ist nicht besser und nicht schlechter als ein offenes, es funktioniert nur anders. Aber es funktioniert genau so, wie der jeweilige Mensch es braucht, wie es für ihn richtig ist. Jede Seite hat ihre Vorzüge und ihre Gefahren, ihre Selbst- und ihre Nichtselbst-Strategie.
Die Nichtselbst-Strategie des offenen Kopfzentrums besteht darin, dass es eine starke Unruhe erzeugt, um sich von dem geistigen Druck zu befreien, den es von anderen aufnimmt, und das meist, indem es versucht, Antworten auf Fragen zu finden, die für seinen Eigentümer völlig bedeutungslos sind. Seine Selbst-Strategie würde dann lauten: Respektiere die Fragen anderer, du bist aber nicht verpflichtet, sie zu beantworten.

Das AJNAZENTRUM ist ein Wahrnehmungszentrum. Es beobachtet, analysiert, kategorisiert und erforscht – kurzum: Es denkt. Es verarbeitet die Inspirationen, die das Kopfzentrum ihm liefert. Die ihm entsprechende Drüse auf der körperlichen Ebene ist die Hirnanhangsdrüse.
Wenn das Kopfzentrum definiert ist, ist immer auch das Ajnazentrum definiert, denn eine Definition entsteht ja durch einen definierten Kanal, und das Kopfzentrum ist mit keinem anderen Zentrum verbunden, das es definieren könnte, außer mit dem Ajna. Andersherum gilt das nicht: Das Ajna kann auch vom Kehlzentrum aus definiert werden. Hier ist die Verteilung in der Bevölkerung annähernd gleich: Etwas mehr als die Hälfte hat ein definiertes, etwas weniger als die Hälfte ein offenes Ajnazentrum.
Das definierte Ajna hat eine festgelegte Art zu denken. Sein Verstand ist wie ein Computer im Dauerbetrieb. Die Bahnen auf den Leiterplatten liegen fest, und das System ist zuverlässig am Verarbeiten, Auswerten und Speichern aller Daten, mit denen es gefüttert wird, immer der gleiche Ablauf. Solche Menschen sind oft die geborenen Troubleshooter (oder die inkarnierten Erbsenzähler). Das offene saugt Informationen auf wie ein Schwamm und ist im Denken sehr flexibel. Gerade hier wird besonders gut deutlich, dass ein definiertes Zentrum nicht zu einer Überlegenheit auf seinem Gebiet prädestiniert. Ob das Ajna definiert oder offen ist, sagt noch nichts über die Intelligenz eines Menschen aus, im Gegenteil: Viele hoch intelligente Menschen sind das, gerade weil sie geistig so offen und beweglich sind. Die Gefahr sitzt woanders: Offene Ajnas sind sich ihrer geistigen Resultate immer unsicher und neigen daher oft dazu, diese Verunsicherung durch eine betonte Scheinsicherheit zu kompensieren. Das ist hier die Nichtselbst-Strategie des offenen Zentrums. Man versucht, sich selbst und andere ständig davon zu überzeugen, dass man sich dessen, was man weiß oder herausgefunden hat, absolut sicher sei. Die Selbst-Strategie ist ganz einfach: Deine Unsicherheit ist nichts Negatives, sondern zeugt von Flexibilität und Anpassungsfähigkeit, also freu dich darüber!

Kopf- und Ajnazentrum bilden zusammen den Verstand. Seit der Renaissance erleben wir eine Aufwertung des rationalen Denkens, die, wie jede einseitige Entwicklung, schließlich in eine Überbewertung mündete. Wohin diese intellektuelle Arroganz uns geführt hat, muss man wohl niemandem mehr erklären.
Jeder komplexere Organismus braucht, um überhaupt handlungsfähig zu sein, eine innere Instanz, die die oberste Entscheidungsgewalt hat – die innere Autorität. Die haben wir mittlerweile fast einmütig dem Verstand übergeben. Das Problem ist nur, dass der dafür gar nicht geschaffen ist. Der Verstand ist visuell, er weiß (und glaubt) letztendlich nur, was er sieht. Unser visuelles Wahrnehmungsspektrum jedoch ist extrem eingeschränkt. Wir sehen keine Funkwellen, wir sehen keine elektromagnetischen Wellen. Die meisten Informationen, die im Universum existieren, können wir nicht sehen. Unsere visuelle Kapazität ist physisch begrenzt, was bedeutet, dass die Begriffsbildung begrenzt ist. Unter anderem deshalb ist der Verstand allein nicht in der Lage, uns durchs Leben zu führen. Er ist zu begrenzt.
Wenn wir den Verstand aber zur inneren Autorität erheben – indem wir, wie es immer noch fast überall propagiert wird, unsere Entscheidungen auf der Grundlage rationaler Informationen, Analysen und Prognosen treffen –, riskieren wir Fehlentscheidungen, kurzsichtige Entscheidungen, Entscheidungen, die anderen schaden usw. und, daraus folgend, Enttäuschungen und Misserfolge am laufenden Band.
Der Verstand ist keine Autorität, kann keine sein, das macht ihn jedoch nicht überflüssig. Er ist ein Beobachter und Informant, ein hervorragendes Werkzeug, mit dem wir arbeiten und große Werke schaffen können – solange wir dem Werkzeug nicht die Entscheidung überlassen, was mit dem Werk zu geschehen habe. Oder, wie Reiner Kunze es in seinem wundervollen Gedicht "Die Liebe (ist eine wilde rose in uns)" ausdrückte:

Der verstand
ist ein messer in uns,
zu schneiden der rose
durch hundert zweige
einen himmel

Für die wahre und richtige innere Autorität gibt es im Human Design fünf andere Kandidaten: das Solarplexuszentrum, das Sakralzentrum, das Milzzentrum, das Herzzentrum und das G-Zentrum. Und es gibt sogar Menschen, die keine innere Autorität haben. Davon dann mehr in den Beschreibungen der betroffenen Zentren.

© Angela Nowicki, 26. Juli 2011

Montag, 25. Juli 2011

Einen Eingang gibt es überall

Einige Tage vor meinem Termin bei der ARGE, noch bevor ich meinen Wunsch formulierte, ging ich auf eine Seelenreise, um mir Klarheit darüber zu verschaffen, was diese Einladung für mich bedeutet.

Ich stecke bereits im Gang zur Unterwelt, als mein Stachelschwein erscheint. Es tanzt und hat heute Perlen mitten auf seinen Stacheln. Ich begrüße es und bitte, mein Anliegen äußern zu dürfen. Jetzt verkriecht es sich hinter einer Wand oder einer Platte, hält sich mit den Pfötchen am Rand fest und lugt mit seinem langen, schwarzen Schnäuzchen ganz herzergreifend darüber hinweg, dass ich lachen muss und es am liebsten knuddeln würde. Ich bitte um Auskunft, welches Verhalten gegenüber der gestrigen Einladung der ARGE meiner Entwicklung am förderlichsten ist. Das Stachelschwein dreht sich noch ein paarmal und düst dann vor mir durch den Gang nach unten.
Nach einer Weile bleibt es plötzlich stehen und wendet sich nach links. Dort erkenne ich nach langer Zeit wieder den schmalen Spalt in der Wand, der in die Tropfsteinhöhle führt. Ich versuche, ihn zu vergrößern. Heute bröckelt er nicht, sondern lässt sich, wenn auch mit Anstrengung, auseinanderziehen, bis er groß genug ist, dass das Stachelschwein hindurchschlüpfen kann.

Ich schlüpfe hinterher und wandere in seinem Schlepptau durch die Tropfsteinhöhle, die ich nach einer kurzen Weile tatsächlich ganz deutlich in ihrer Struktur erkennen kann. Auf einmal plumpst das Schweinchen vor meinen Augen in ein Wasser, ich sehe deutlich die Ringe. Es taucht auf und unter und fordert mich auf, es ihm nachzutun. Doch ich kann kein Wasser sehen, wenn es sich nicht darin bewegt. Ich überlege, ob das der schwarze Teich ist, in den ich früher schon einmal getaucht bin, doch als ich das angebliche Wasser fixiere, scheint es sich nur um eine bessere Pfütze zu handeln, allerdings mit ganz klarem Wasser.
Wir sausen weiter durch einen langen, dunklen Gang, jenen, der sich am Ende nach rechts und links gabelt. Ich erinnere mich, dass es links zur Sandkuhle hinaus geht. In der Tat landen wir schnell an der Gabelung, doch heute entdecke ich Stachelchen im rechten Gang, also folge ich ihm dorthin. Es bleibt stehen, und ich sehe direkt vor ihm auf dem Boden eine Art dunkles, gestacheltes Dreieck, wie der Schatten eines Fächers. Ich erfahre jedoch nicht, was das ist, denn schon taucht links ein Haus auf. Es ist, als habe sich der Gang plötzlich in Luft aufgelöst oder ein neues Bild hervorgebracht.

Es ist die Schmalseite eines Häuserblocks aus einer Wohnanlage der Genossenschaftszeit aus den 1920ern: zweistöckig, Spitzdach, drei oder vier Häuser im Verbund, auf der Längsseite vor den Haustüren eine Wiese mit einer niedrigen Hecke und auf der gegenüberliegenden Schmalseite eine große Birke. Wir laufen an der Längsseite entlang, bis ich am Ende des Blocks die Sonnenreflexion an der schräg anlaufenden Seitenkante eines runden, sandsteinfarbenen Turmes erkenne.
Es taucht einfach der Gedanke auf:
"Einen Eingang gibt es überall",
und schon erscheint vor mir eine offene Tür, die durch einen langen, rund gewölbten Gang in den Turm hinein führt. Ich laufe hinein.

Als Erstes taucht kurz ein schlichter Schreibtisch in meinem Blickfeld auf und dann ein Kaleidoskop an Gesichtern:
... ein jüngerer Mann, der sich mit schmerzverzerrtem Gesicht mit der Hand den Hals dehnt – offensichtlich ist er sehr verspannt und könnte eine Massage oder eine Geistheilung gebrauchen...
... eine dauergewellte Frau...
... eine jüngere Frau mit langen Haaren und schönem Schmuck...
... ein älterer Mann...
Spontan denke ich: Vielleicht sollte ich meinem "Fallmanager" eine Heilung anbieten?
Dann stelle ich mir vor, wie ich diese Menschen mit meinen Bildern heile.
Und dann, wie ich ihre Gesichter male.
Am Ende läuft wieder mein perlengeschmücktes Stachelschwein vor mir her, und ich denke längere Zeit darüber nach, wie ich es am besten male und dass es höchste Zeit ist, dass es mal ein Bild bekommt: Es ist so schön!

Ich gelange zu einem Baum auf einem felsigen Hügel. Erst sieht er aus wie eine riesige, wirbelnde Spindel, doch dann wird eine richtige Buntstiftzeichnung daraus: ein grüner Baum, an dem ein Netz herunterhängt, auf etwas felsigem, aber grünem Untergrund. Ich schaue mir das Bild längere Zeit mit Freude an und entdecke schließlich sogar oben eine Sonne wie aus einer Kinderzeichnung.

Der Baum verschwindet, und es erscheint eine große Sonnenmaske aus goldenem Metall. Ihr offener Mund mündet in einen langen Schlauch, und durch den saugt sie einen kleinen Menschen zu sich hoch.
Kunst! Schöpferische Selbstverwirklichung! Mein Lebenstraum!
Zweimal kommt mir der Gedanke: "Vielleicht ist die ARGE sogar deine Geburtshelferin?"

Der Maske folgt eine rechte Hand, die eine kleine Phiole zwischen Daumen und Zeigefinger hochhält, ähnlich einem der kleinen Glasröhrchen mit homöopathischen Globuli. Die Phiole entschwebt der Hand nach hinten, wird immer kleiner.

Und dann sehe ich zwei goldene Hände, die zum Empfang geöffnet sind. Sie empfangen Licht von oben. Damit bedecken sie ganz langsam das Gesicht des Menschen, zu dem sie gehören.

Nun will ich zurück, denn ich möchte nicht die Hälfte der Bilder vergessen. Ich finde mich in dem rechts abzweigenden Gang am Ende der Tropfsteinhöhle wieder. Mein Stachelschwein läuft vor mir her. Wir laufen zurück in die Tropfsteinhöhle. Ich achte auf das Wasser, aber ich sehe keines mehr. In der Mitte der Tropfsteinhöhle steht mein Stachelschwein groß vor mir mit prächtigen Stacheln, die ich streichele. Ich bedanke mich herzlich bei ihm und verabschiede mich. Auf einmal sehe ich das Stachelschwein in der Luft, und es hat Flügel!

Ich verlasse die Tropfsteinhöhle und krabbele durch den Gang nach oben. Ein starker Strom, wie nasser Sand, fließt auf dem Boden entlang. Mir scheint, es stinkt hier auf einmal nach Urin, und ich bekomme den Eindruck, dass der nasse Sand Erbrochenes sein könnte. Es ist, als sei der Eingang zur Unterwelt besudelt. Mir wird unwohl, ich sehe zu, so schnell wie möglich hinaus zu kommen.
Draußen wende ich mich nach rechts. Dort erblicke ich endlich wieder den Gebirgszug mit dem Wasserfall im Hintergrund, doch im Vordergrund wachsen jetzt nicht nur die hohen, trockenen Stängel, die Mohnkapseln ähneln, sondern mittendrin auch ein kräftiger, grüner Baum. Als ich weiter nach rechts blicke, sehe ich in der Ferne extrem plastisch schneebedeckte Hochgebirgsgipfel, wie in den Alpen, die reichen bis zum Horizont.

© Angela Nowicki, 10. März 2010

Sonntag, 24. Juli 2011

Als das Wünschen noch geholfen hat

Vor anderthalb Jahren bekam ich eine Einladung zur ARGE, weil ich in einer so genannten Bedarfsgemeinschaft lebe. Ich bin beruflich selbstständig und brauche keine Unterstützung vom Staat, aber da lässt mir das Sklavengesetzbuch seit Jahren keine Wahl – mitgehangen, mitgefangen, haben sich die Autoren wohl gedacht. Ich hatte bereits Erfahrung aus einer früheren Gefangenschaft, und diese Erfahrung war alles andere als angenehm. Ich meine, wenn ich meinen Lebensunterhalt selbst verdiene, nur eben nicht in der Lage bin, noch eine weitere Person locker mit zu ernähren, wenn ich voll arbeite, meinen Urlaub aber beim Amt genehmigen lassen muss, ja sogar die Stadt nicht über Nacht verlassen darf, ohne mich abgemeldet zu haben – wie nennt man denn das? Wenn ich zudem Eingliederungsvereinbarungen unterschreiben muss, in denen ich mich verpflichte, alles zu tun, um unsere Hilfsbedürftigkeit zu beenden, sprich: einen Job zu suchen, von dem ich Zwei ernähren kann – DAS ist nun wirklich absurd, denn DEN Job würde ich vielleicht sogar nehmen, wenn es ihn gäbe...
Egal, jedenfalls ging das jetzt wieder los. Ich hatte einen furchtbaren Horror vor diesem Tag, und in den letzten fünf Tagen ging es mir richtig schlecht. Ich schlief schlecht, bekam Migräne, Herzklopfen und rutschte langsam, aber sicher auf eine Depression zu.

***

Zunächst mal machte ich eine Seelenreise zu meinem Krafttier mit der Frage, wie ich mich bei dem Gespräch am besten verhalten solle.
Dann fiel mir ein, was ich erst kürzlich übers Wünschen gelesen hatte. Ich hatte diese "Wünsche ans Universum" immer mit spöttischer Skepsis bedacht. Das Universum ist doch keine Geschenkboutique. Mein Paradebeispiel war: Was ist, wenn zwei sich etwas wünschen, was sich gegenseitig ausschließt? Dann hat das Universum ein Problem.
Aber es war der Strohhalm in meiner Verzweiflung. Es gibt ein paar Grundregeln:

1. Man kann sich nur für sich etwas wünschen, niemals für andere und auch nichts, in das andere dann involviert würden. (z.B.: "Ich will mit meinem Partner nach Australien reisen!" – schmeiß den Partner raus, dann klappt’s vielleicht auch mit Australien.)
2. Wünsche funktionieren nur, wenn sie als Gewissheit formuliert werden, also nicht: "Ich möchte morgen fit sein" (dann möchte man morgen auch nur fit sein), sondern: "Ich bin morgen fit" (oder "werde fit sein" – dann ist man fit).
3. Man muss schon ein bisschen energetische Arbeit vorher leisten. Einfach mal so nebenbei einen Wunsch in den Briefkasten werfen, bringt’s wohl auch nicht.
4. Wenn der Wunsch abgeschickt ist, muss man ihn vollständig loslassen – möglichst nicht zweifeln, am besten gar nicht mehr dran denken.

Gesagt, getan. Drei Tage lang ging ich geistig mit der Vorstellung schwanger, wie ich mir den Ablauf des Gesprächs am Freitag aus tiefstem Herzen wünschen würde. Am vierten Tag zog ich mich für längere Zeit zurück, konzentrierte mich voll auf diese Vision, steckte meine gesamte geistige Kraft hinein, hielt sie eine Weile – und schrieb sie liebevoll, mit bunten Farben und ein paar hübschen Schnörkeln verziert, auf eine weiße Karte:
Ich komme am Freitag bei der ARGE zu einem anderen Fallmanager, der vernünftig und verständnisvoll ist.
Noch eine kurze Konzentration – dann zündete ich die Wunschrakete, faltete die Karte zusammen und steckte sie weg.

Nun ja, mit dem Loslassen ist das aber so eine Sache. ICH konnte es nicht. Ich versuchte wirklich mein Bestes, doch am Abend steckte ich ganz tief im Stimmungsloch, und am nächsten Morgen stand ich in einer Verfassung auf, als werde ich gleich zur Schlachtbank geführt. Ich war mir sicher, dass das Wünschen gar nichts helfen würde, und anderthalb Stunden vor dem Termin erschien mir meine Vision schon als völlig abartig und unvorstellbar.

Aber wenn die Nacht am dunkelsten ist, ist der Morgen am nächsten. Als ich es gar nicht mehr aushalten konnte und bereits zu zittern und zu schwitzen begann, legte ich alles weg, setzte mich hin und nahm meine Desperado-Haltung ein: "Sollen sie mit mir machen, was sie wollen, mir ist alles egal." In diesem Moment fiel die ganze Spannung von mir ab, und schon nach kurzer Zeit war ich ruhig genug, um vor dem Aufbruch noch einmal zu meditieren.

Ich schaltete Meditationsmusik ein und ging in mein Herz-Chakra. Mein goldener Schwan war sofort zur Stelle. Er führte mich hinaus aus dem Tempel, und dort visualisierte ich, wie ich mir den Termin bei der ARGE wünsche:
einen neuen Fallmanager – eine Frau – sie ist nett – verständnisvoll – sagt, dass sie mich in Ruhe lassen wird – ist intelligent und vernünftig...

***

Als ich losging, war ich wie verwandelt. Es war ein herrlicher Frühlingstag. Zum ersten Mal seit einer Woche sah ich das auch wieder, spürte es, konnte den frischen Wind, die übermütige Sonne, den Duft der frischen Blätter und die Koloratur-Arien der völlig durchgeknallten Vögel mit allen Sinnen genießen. Von der Bushaltestelle zum Amt hüpfte ich fast, was ein erbaulicher Anblick gewesen sein muss.

Ich bekam einen neuen Fallmanager.
Es war eine Frau.
Sie war nett.
Verständnisvoll.
Sie sagte, sie werde mich selbstverständlich in Ruhe lassen, solange ich für meinen eigenen Lebensunterhalt sorgen kann, ich könne ja nichts für meine Situation.
Sie war intelligent und vernünftig.


Wie war das?
Das Perfide an der Logik ist, dass sie absolut fehlerfrei und dennoch falsch sein kann.
Ich glaube wieder an Geschenkboutiquen.

© Angela Nowicki, 24. Juli 2011

Samstag, 23. Juli 2011

Liedchen

Fragt nicht immer nach Vergangnem,
Nach missratner Illusion.
Das, was war, lasst friedlich ruhen,
Denn wir haben nichts davon.
Fragt nicht immer, was ich dachte.
Gebt euch nicht zum Richter her
Über die Person von gestern,
Denn die bin ich heut nicht mehr.

Fragt nicht immer nach der Zukunft,
Nach noch unerfülltem Traum.
Das, was kommt, lasst ruhig kommen.
Habt ein wenig mehr Vertraun.
Fragt nicht, wo ich bleiben werde.
Stellt euch nicht so wissend hin
Über die Person von morgen,
Die ich heute noch nicht bin.

Lieber fragt nach jetzt und heute,
Danach, was wir haben hier.
Was geschieht, das lasst geschehen.
Davon letztlich leben wir.
Fragt mich lieber, was ich liebe.
Drüber richten sollt ihr nicht.
Euch bleibt einzig überlassen,
Mich zu mögen
Oder nicht.

© Angela Nowicki, 1976

Freitag, 22. Juli 2011

Glorias Tod

Ehemaligentreffen. Abend. Man hat zu trinken begonnen, unterhält sich und badet im Meer. Geradeaus erstreckt sich eine breite Bucht, links geht es ins offene Meer, das zunächst eine sehr große, hufeisenförmige Bucht bildet, bevor die Ufer verschwinden.

Neila liegt mit Gloria in der Bucht, sie unterhalten sich und trinken Tequila. Da hat Neila eine Erleuchtung: Sie läuft einen Weg entlang und will nichts anderes als heilen, und auf einmal strecken sich alle Arme nach ihr aus, und alles erstrahlt in einem weißen Licht.
Beseelt wendet sie sich an Gloria: "Weißt du, was das große Geheimnis ist? Wenn du heilen willst, wirst du heilen!"
Gloria sieht sie entgeistert an. Sie versteht natürlich nicht, denn ein mystisches Erlebnis, eine höchste Erkenntnis kann man nicht in Worten ausdrücken. Trotzdem fühlt sich Neila sehr wohl mit Gloria, sie ist angenehm, irgendwie menschlich und mitfühlend.

Sie unterhalten sich noch etwas, dann will Gloria schlafen gehen. Neila möchte noch bleiben, sie will endlich einmal wieder eine ganze Nacht genießen und trinken. Gloria ist schon betrunkener als sie, und sie schwimmt in die hufeisenförmige Bucht, ins Meer hinaus, hinüber zu dem Felsen, wo Sybille liegt. Sybille ist groß und walzenförmig, liegt unter Wasser und schläft. Dorthin schwimmt Gloria, um sich auf sie zu legen.

Neila steht auf und geht hinüber zum schwarzen Felsen zu Willy, die dort schon seit längerer Zeit allein sitzt.
Auf einmal sagt Willy: "Jetzt ist sie tot. Es hat ihr den Kopf abgeschnitten!"
Gloria. Gloria hat es bei Sybille den Kopf abgeschnitten. Sie ist tot. Neila findet das zwar schrecklich, aber es dringt nicht ganz zu ihr durch, sie ist ja auch ziemlich betrunken. Sie ruft Raul. Sie erzählt ihm, wie sie sich mit Gloria gerade noch über ihre Erleuchtung unterhalten hat, und er tröstet sie.

Neila geht zurück ins Haus, um sich schlafen zu legen. Sie muss die Stube durchqueren, um ins Arbeitszimmer zu gelangen, ein altmodisch eingerichtetes, chaotisches Zimmer, wie einer Hexenvilla entnommen. Dort steht unter anderen ihr Bett.
Doch sie kommt nicht dazu, sich hinzulegen, denn alle sind in Aufruhr. Gloria ist tot! Es hat ihr den Kopf abgeschnitten. Langsam dringt das Entsetzen auch zu Neila durch.

In der Stube packt Willy ihre Sachen. "Was machst du da?" fragt Neila. Willy würgt tränenerstickt hervor: "Was glaubst du denn?! Ich fahre nach Hause! Meinst du, ich kann noch eine Stunde länger hier bleiben? Gloria ist tot! Es hat ihr den Kopf abgeschnitten! Alles ist zu Ende!"
Neila denkt daran, dass Gloria eigentlich immer Willys engste Freundin war. Sie versteht sie. Nach und nach schließen sich auch die anderen Willy an. Alle sind fix und fertig und weinen und geben Willy Recht, so dass Neila sich langsam fragt, ob sie das volle Ausmaß des Grauens etwa bis jetzt noch gar nicht wahrgenommen habe. Allmählich wird sie nüchtern (und wundert sich, dass sie nach dem vielen Tequila kaum einen Kater hat), und ihr wird kalt. Was, bitte, ist hier passiert?
Abreisen will sie nicht. Sie fragt die anderen, ob sie nicht die Polizei benachrichtigen müssten. Die sehen sie konsterniert an und nicken. Daran hatten sie noch gar nicht gedacht. "Ja, natürlich müssen wir die Polizei holen", sagen sie und sehen Neila an.
"Was seht ihr mich an? Ist das euer Mitgefühl, dass ihr euch jetzt aus dem Staub macht und mich die Sache allein regeln lasst?"

Die Polizei ist benachrichtigt. Der Rettungstrupp macht sich auf die Suche. Jemand sagt, sie sollten mal die anderen fragen, die auch in der Gegend waren. Die meisten hätten den Kopf später an allen vier Ecken des Meeres auftauchen sehen.
Neila bekommt keine Luft. Mit einem Satz hat das Grauen sie unter sich begraben. Es hat ihr den Kopf abgeschnitten! WER oder WAS hat ihr den Kopf abgeschnitten? Wieder und wieder versucht sie, sich vorzustellen, was da passiert sein könnte, aber sie kann es sich einfach nicht vorstellen. Die Walze Sybille war doch nicht scharf oder spitz! Den anderen scheint die Frage gar nicht in den Sinn zu kommen. Und dann die Vorstellung, dass da ein abgeschnittener Kopf im Meer schwimmt und ein kopfloser Körper dazu! Einige wollen zum Meer runtergehen, aber Neila wehrt sich mit Händen und Füßen. Allein die Vorstellung, den Kopf zu sehen, wenn sie ihn finden und hochholen, treibt sie in den Wahnsinn. Sie fragt sich, wie Glorias Kinder davon erfahren sollen, es ist so unglaublich: Sie fährt auf ein Ehemaligentreffen und kommt nicht zurück! Ihr Kopf ist abgeschnitten!

Als schließlich doch alle am Meer anlangen, haben die Rettungstrupps es mit schwarzem Flor verhängt. Neila findet das sehr rücksichtsvoll. Da sitzt sie neben Irma, Willy und den anderen am Ufer der Bucht, das schwarz verhängte Meer zur Rechten, und hinter dem Vorhang suchen die Rettungstrupps nach Glorias Kopf und Körper.

Dann hören sie es. Sie haben ihn gefunden. Ein Fluchtreflex treibt Neila hoch, weil sie sich vorstellt, wie sie gleich mit Glorias abgeschnittenem Kopf vor ihnen vorbeilaufen werden. Doch nichts dergleichen.

Die Rettungstrupps treten durch den schwarzen Vorhang mit einem wunderschön aufgebahrten, verzierten Holzsarg, in dem Glorias Überreste liegen. Der Sarg ist verschlossen, und sie tragen ihn ganz langsam in einem Trauerzug vor allen Ehemaligen entlang. Sie singen. Es ist ein Trauerlied, das klagt, dass hier ein erfülltes Leben vorbei ist.

Neila weint.

© Angela Nowicki, 30. März 2010

Donnerstag, 21. Juli 2011

Human Design: Der Manifestierende Generator

Der Manifestierende Generator (MG) ist nicht, wie man annehmen könnte, eine Mischform aus Manifestor und Generator, sondern ein Generator. Manche HD-Experten halten ihn mittlerweile für einen eigenständigen Typ, doch ich will hier vorerst beim ursprünglichen Human Design bleiben, und da wird er als eine Untergruppe dem Typ des Generators zugeordnet.

Wie der Generator hat er ein definiertes Sakralzentrum, sprich: ständig generierbare Energie und eine "Bauchstimme".
Im Unterschied zum Generator ist bei ihm jedoch zusätzlich mindestens einer der vier Motoren (Wurzel-, Solarplexus-, Sakral- und/oder Herzzentrum) über einen definierten Kanal mit dem Kehlzentrum verbunden, wie es beim Manifestor der Fall ist. Dieses "motorisierte" Kehlzentrum stattet den MG mit einem gewissen Maß an Initiative, kreativer Energie und Schnelligkeit aus.
Manche MGs handeln und reagieren sehr schnell und beginnen, sich zu langweilen, wenn nicht genug los ist. Sie arbeiten sehr effizient und überspringen gern unwichtige Schritte. Dabei passiert es dann rasch einmal, dass auch wichtige Schritte dran glauben müssen, und dann müssen sie noch mal von vorn anfangen.

Da sie Generatoren sind, reagieren auch sie auf alles, was ihnen begegnet. Der MG jedoch kennt seine Reaktion nicht wirklich, bis er beim Handeln einen Wutanfall bekommt. Natürlich haben wir alle schon den Leitsatz gehört: "Was du anfängst, musst du auch zu Ende bringen." Nun, für einen MG ist das einfach nicht wahr. Die können viel anfangen und nicht durchhalten, denn sobald sie sich in die Arbeit stürzen und ihr Körper richtig aktiv wird, kann ihr Sakralzentrum nein sagen. Kann das frustrierend sein? Nur, wenn sie ihre Dynamik nicht verstehen. Natürlich werden sie dann von anderen unter Druck gesetzt: "He, wir haben gerade zu spielen angefangen, du kannst jetzt nicht einfach abhauen!" Doch, sie können – und sie sollten sogar, wenn sie ein inneres Nein spüren.

Wichtig für alle Generatoren ist, wie verlässlich ihre Bauchstimme ist. Es geht, wie gesagt, nicht ums untätige Warten auf etwas, auf das man reagieren kann, es fehlt nie an Herausforderungen. Es geht darum zu akzeptieren, dass ihr Körper ihnen zu jedem beliebigen Zeitpunkt zuverlässig mitteilen kann, ob die Reaktion zu einer befriedigenden Erfahrung für sie führen wird oder nicht. Der Manifestierende Generator muss, im Gegensatz zum reinen Generator, nur erst einmal die Initiative ergreifen, bevor er eine zuverlässige Reaktion bekommt. Wie sagt man so schön? "Der Appetit kommt beim Essen." Dafür kann er, wenn er einmal läuft, viel schneller bremsen oder die Richtung wechseln als der reine Generator. Er ist keine Lok, sondern ein schnelles, wendiges Auto.

Ich will nicht verhehlen, dass mir über diesen Typ immer noch nicht ganz im Klaren bin. Was ich bisher geschrieben habe, wird von einigen Quellen bestätigt, und so ist mir die Strategie des MG auch plausibel. Wiederum liest man aber bei vielen Autoren, der MG müsse erst reagieren und dann die Initiative ergreifen. Wie soll das denn, bitte schön, gehen? Initiative heißt doch, dass man einfach loslegt, wenn einem danach ist. Es ist eine Aktion, keine Reaktion. Wie will ich denn aktiv werden, wenn ich bereits auf einen Reiz reagiert habe, dann bin ich doch in der Reaktion, und alles, was ich im Zusammenhang damit tue, bleibt eine Reaktion?
Oder, anders gefragt: Wenn Generator und MG beide zuallererst warten sollen, bis eine Arbeit, ein Angebot, eine Beziehung auf sie zukommt - worin besteht dann der Unterschied zwischen beiden im zweiten Schritt? Die Strategie des Generators heißt "warten - reagieren - loslegen", die des MG angeblich "warten - reagieren - ...?" Initiative ergreifen? Was ist der Unterschied zwischen Initiative und Loslegen?

Nein, nein, da ist mir die andere Version doch wesentlich logischer. Das geht schließlich auch so richtig schön theoretisch aus dem Funktionsplan der Körpergrafik hervor: Der MG hat einen Motor mit der Kehle verbunden, genau wie der Manifestor, und das heißt: Er kann jederzeit aktiv werden. Und er hat außerdem ein definiertes Sakralzentrum, genau wie der Generator, und das heißt grundsätzlich: Er kann powern, ohne dauernd schlapp zu machen, er hat Ausdauer - VORAUSGESETZT, er hat sich für das richtige Objekt der Begierde entschieden.
Natürlich kann er warten, wie ein Generator, dann handelt er aber auch wie ein Generator und kein bisschen anders. Das wird jedoch der mit der Kehle verbunde Motor nicht lange mitmachen, der drängt doch permanent zur Aktion! Also handelt er höchstwahrscheinlich zunächst mal wie ein Manifestor, er wird hier aktiv und dort aktiv. Was er letzterem allerdings voraus hat, ist: Wenn er zufällig am richtigen Objekt aktiv geworden ist, kann er dranbleiben und es bis zum Ende durchziehen, der Manifestor kann das nicht. Deshalb lauten die Strategien für unsere drei netten Energietypen meiner Meinung nach:

Manifestor = loslegen - schlapp machen
Manifestierender Generator = loslegen - reagieren - schlapp machen oder weitermachen
Generator = warten - reagieren - loslegen - weitermachen

Ich lasse mich gern eines Besseren belehren.

© Angela Nowicki, 21. Juli 2011

A day in the life

... and though the news was rather sad...

Heute haben sie die 1-Euro-Jobber in einen dreistündigen "Kurs" geschickt, in dem man ihnen erzählte, sie seien arbeitslos, weil sie missmutig, unfähig und sowieso nicht zum Manager geboren seien und kleine Passbilder auf ihre Bewerbungen kleben. Aus ihnen könnten aber trotzdem glückliche Menschen werden! Jawoll!
Wie?
Na, man muss sich halt damit zufrieden geben, der Abfall der Gesellschaft zu sein, in diesem Rahmen sein Bestmögliches tun und darf nicht nach oben schielen und neidisch sein.
Ich weiß jetzt auch nicht, aber irgendwie habe ich das schon mal gehört. Aus Indien. Das heißt dort Kastenwesen.

Das mit dem Manager sei bewiesen, sie hätten Experimente gemacht: Sie hätten Arbeitslose an einen Schreibtisch mit Telefon gesetzt und gesagt: "Jetzt managen Sie bitte mal", und die hätten kläglich versagt.
Monty Python? Ernst gemeint kann das doch nicht sein... oder?
Doch. Deutsche Realität.
Aber schon interessant, was dieser Müll unbeabsichtigt für ein Bild vom Managerjob malt. :o)

Und Passbilder gäbe es sehr gute in einem bestimmten Fotostudio in der Stadt. Als eine Frau fragte, wie viel die denn kosten, waren es 35 – 40 Euro, worauf die Frau ironisch schnodderte: "Das hab ich doch locker!"
"Sie haben die falsche Einstellung", wusste der "Kursleiter". "Das ist eine Investition in Ihre Zukunft!"
40 Euro sind 4 Tagessätze für einen Hartzer. Da braucht sie bloß 4 Tage lang nichts zu essen, und schon hat sie in ihre Zukunft investiert. Wow! Die Frau hat wirklich die falsche Einstellung. Die will essen! Aus der kann ja nichts werden.
Mal abgesehen davon, dass sie zum Manager sowieso zu blöd ist. Wollen wir sie mal an den Schreibtisch setzen? Mit Telefon? Na, sehnse.

Eine andere Frau schimpfte, sie habe ein kleines Kind und müsse noch Geld drauflegen, um hier rumzusitzen und sich solchen Schwachsinn anzuhören. Sie bekommt 120 Euro "Aufwandsentschädigung", muss nun aber ihr Kind in den Kindergarten schicken, der 80 Euro kostet, und dann noch die Fahrtkosten drauf. Der Herr belehrte sie jovial, da habe sie sich nicht genug gekümmert, ihr würde bestimmt mehr Geld zustehen.
Sie hat sich natürlich gekümmert: Ihre "Fallmanagerin" beim Jobcenter hat sie kurzerhand abgespeist, das sei alles in der "Aufwandsentschädigung" enthalten. Und so ist es auch laut Sklavengesetzbuch, logisch.

Überhaupt eine Perle der Logik, das Ganze. Dass Arbeitslose selbstverschuldet arbeitslos sind, wenn es das Mehrfache an Arbeitssuchenden gibt wie Arbeitsplätze.
Das nennt man dann wohl wundersame passbildinduzierte Vermehrung.

Ein guter Artikel in der Süddeutschen zum Thema vom Januar 2009, aber immer noch brandaktuell:
Eine Lüge namens Statistik

© Angela Nowicki, 20. Juli 2011

Dienstag, 19. Juli 2011

Tanzen Sie mal, wenn Sie dabei schlafen!

Neila ist offensichtlich auf einem Fest gelandet. Wie, weiß sie auch nicht, denn schließlich schläft sie. Es ist ihr auch egal. Sie will endlich die Augen öffnen.

Ein langer, knochiger Mann mit Brille fordert sie zum Tanz auf. Neila freut sich, es ist für sie nicht selbstverständlich, zum Tanz aufgefordert zu werden. Doch sie bekommt ihre Augen einfach nicht auf! Es ist wirklich unangenehm. Wieder und wieder versucht sie, sie mit aller Kraft aufzureißen, aber es geht einfach nicht. Sie verliert schon bald den Rhythmus und tritt ihrem Partner dauernd auf die Füße.
"Sie machen sich wohl nicht viel aus Tanzen?" fragt er schließlich.
Das ist eine Beleidigung. Neila ist stolz auf ihr Rhythmusgefühl. Sie fängt an, sich zu rechtfertigen. Da erst fällt ihr auf, dass hier Gesellschaftstänze getanzt werden, und die beherrscht sie nun wirklich nicht. Sie würde das gern klarstellen, findet aber nicht die richtigen Worte. Ihr Partner scheint zu wissen, was sie sagen will, und ergänzt: "Ah ja, das hier ist Walzer, das ist Tanzschule..."
Eine Weile ergeht sich Neila mit ihm im Schlagabtausch über Tanzschulen. Sie erklärt, dass das für sie immer unterste Schublade war und sie sich nicht einmal mehr daran erinnern kann. Er stimmt ihr sogar zu, doch sie hat das Gefühl, es noch nicht auf den Punkt gebracht zu haben. Ihr fällt ein, dass sie nicht einmal mehr weiß, mit was für einem Jungen sie damals in der Tanzschule getanzt hatte.

Ein anderer Mann kommt hinzu und mischt sich in ihr Gespräch ein. Da erst fällt Neila ein, dass sie ja die ganze Zeit gar nichts sehen kann. Sie fügt triumphierend hinzu:
"Außerdem - tanzen Sie mal, wenn Sie dabei schlafen!"

© Angela Nowicki, 29. März 2010

Montag, 18. Juli 2011

Ostreise, Teil 3

Ostreise, Teil 1
Ostreise, Teil 2

Wir sind in Polen. Aus Küstrin ist Kostrzyn geworden. Wir fahren unaufhaltsam ostwärts, achtzig Kilometer hinein ins neue Land. Da ist aber nichts neu. Im Gegenteil. In der langen Zeit, die ich nicht hier war, habe ich immer wieder gehört, das Land habe endlich begonnen, sich zu verändern, der über zehnjährige Marasmus, der an Selbstaufgabe gemahnende schleichende Verfall werde von den ersten Vorboten eines ehrgeizigen jugendlichen Elans durchgeschüttelt. Europa wecke fast begrabene Hoffnungen, der Aufbruch sei überall zu spüren, an renovierten Häusern, gepflegten, farbenfrohen Vorgärtchen, dynamisch-lockeren jungen Yuppies auf den Straßen, freundlicheren Verkäuferinnen in den Geschäften. Das muss ein anderes Polen sein. Auf der Strecke, die wir entlangfahren, finde ich trotz angestrengter, sehnsüchtiger Ausschau auch nicht das kleinste Zeichen eines Erwachens. Mehr als zehn Jahre lang, seit der für Ostdeutschland trotz allem so bereichernden "Wende", habe ich Polen verrotten sehen wie ein Haus, dessen Eigentümer heillos zerstritten sind. Die Halbwertzeit verringert sich rapide, sobald es seinem Schicksal überlassen wird. Es war erschreckend und deprimierend, das Land bei jedem Besuch sichtlich grauer, verstaubter, hoffnungsloser vorzufinden. Nichts anderes sehe ich auf unserer Fahrt von Kostrzyn nach Gorzów. Aussätzige Häuser, betrunkene Männer, abgearbeitete Frauen, leere Gesichter, rostbefallene Fahrzeuge, verbeulte Straßen und Staub, dieser verdammte feine, graue Staub, der alles und jeden zu durchdringen scheint.
Gut, es ist Winter, ein endlos währender, schmerzhaft kalter Winter. Ein unbarmherziger Winter, der uns nicht einmal Schnee über das Elend gönnt. So kahl, ausgefroren und farblos ist mir selbst Polen noch nicht erschienen. Mit etwas Grün sähe alles wohl erträglicher aus.
Gut, es ist nur eine Linie von achtzig Kilometern mal fünfzig Meter, was ist das schon. Noch nicht mal ein Achtundsiebzigtausendstel. Es bleiben achtundsiebzigtausend Hoffnungen.

Nachmittags um vier fahren wir in Gorzów ein. Gorzów Wielkopolski. Vor vielen Jahren Landsberg an der Warthe. Geburtsort der dunklen Mahnerin Christa Wolf. Hier blättern sich ihre Kindheitsmuster auf. Die Warta fließt wie eh und je träg dahin, sie trägt die schaumigen Eisschollen der Oder nach Osten, nur ist sie längst nicht so breit. In Gorzów kumuliert die unterwegs aufgesammelte Depression und wird zur Stadt. Es gibt nahezu kein Haus, das intakt aussieht. Es gibt keine Stelle, kein Plätzchen in der ganzen Stadt, das auch nur im Entferntesten anheimelnd oder gar einladend wirkte. Mit Verwunderung entdecke ich einen Park. Hineingehen möchte ich nicht. Wie die Glocke der Verwunschenheit Cottbus umschließt, umschließt Gorzów eine dichte Glocke der Resignation. Leere. Sinnlosigkeit. Hier leben heißt nichts wollen. Cottbus hat weder Vergangenheit noch Zukunft noch Gegenwart. Es hängt außerhalb der Zeit und wird damit zum Mythos. In Gorzów ist die Zeit bloß stehen geblieben. Es ist Gegenwart pur, hat die Vergangenheit vergessen und vor allem keine Zukunft, no way out. Das ist kein Mythos, nicht einmal eine Geschichte. Die Luft beißt sich in den Schleimhäuten fest, hier wird noch viel mit Kohle gefeuert, ich höre von jemandem, der Plastikabfälle verheizt.
Die Rußpartikel sind allgegenwärtig, lasieren die Luft, auch die Schneereste sind grauer als anderswo, kaum zu unterscheiden von den verworfenen Wegen, den unzähligen ausgehebelten Gehwegplatten. Viele Häuser sehen aus wie Leprakranke, der Putz blättert in großen Fetzen ab, die verrotteten Fensterrahmen krümmen sich trotzig und sind nur mit viel Kraft zu öffnen und zu schließen, aus dem blanken Ziegelwerk rieselt der versandete Mörtel, Feuchtigkeit steigt auf und sinkt herab. Und über und an und in allem jener feine, graue Staub wie eine Seuche. Jetzt erinnere ich mich: Buna. Chemiekombinat. Es ist der Karbidstaub, der auch Halle zersetzt. Gorzów ist mit Halle nicht zu vergleichen, doch den Staub haben sie gemeinsam. Ich glaube nicht, dass hier Karbid hergestellt wird, aber auf meine Frage erfahre ich: Ja, in Gorzów gibt es Chemiewerke. Die Niederung des Warthebruchs verbündet sich mit dem Chemiestaub: Die Seele sinkt zu Boden und ergraut.

© Angela Nowicki, 2002

Sonntag, 17. Juli 2011

Der endlose Schlaf

Oh Neila hat geschlafen nur geschlafen sie schläft noch sie ist so endlos müde so bleischwer sie kann gar nicht wieder wach werden...

So schläft sie im Auto von England bis nach Hause. Einmal wacht sie ein bisschen auf und nimmt wahr, wie Leon losfährt, dann "O-oh!" sagt und losprescht. Sie denkt, wahrscheinlich hat er jemandem die Vorfahrt genommen und muss nun sehen, dass er schnell vorbeikommt, und wir sind schon auf der Autobahn. Sie spürt die leichten Erschütterungen der Dehnungsfugen in den Betonplatten, aber sie kann die Augen nicht öffnen und denkt, ok, ich liege hier im Auto auf den umgeklappten Sitzen und schlafe während der ganzen Heimfahrt, das geht nun mal nicht anders, muss gehen.
Aber irgendwie sieht Leon nichts. Es ist, als säßen sie in einem Simulator ohne Bildschirm. Vor sich sehen sie das Fenster mit den roten und gelben Vorhängen aus Neilas Zimmer, und Leon muss blind fahren, aber Neila vertraut ihm, wie immer, voll und ganz, er hat das schon im Griff.
Dann aber fährt sie erschrocken auf und fragte Leon, ob er denn auch ihre Sachen gepackt und mitgenommen habe, und er sagt, das wisse er nicht! "Mist", denkt sie, "jetzt müssen wir noch mal zurückfahren. Ich muss doch meine Sachen packen. Wieso schaffe ich es nie, rechtzeitig zu packen, bereit zu sein, pünktlich zu sein, wenn ein endgültiger Termin ansteht?!" Dabei kann sie noch nicht einmal die Augen öffnen und will nur schlafen, schlafen...

Im Quartier will Neila sich hinlegen und weiter schlafen, doch neben der Liege stehen drei Kinder. "Denen sollte ich wohl etwas Aufmerksamkeit schenken, bevor ich wieder einpenne", denkt sie seufzend. Sie ruft die Kinder zu sich und fragt, ob sie sich freuen, bei ihr zu sein. Das älteste Mädchen nickt eifrig: "Oh ja, das ist so schön, mit dir zu kuscheln und bei dir zu sein." Die beiden anderen halten sich eher auf Distanz. Neila weiß, dass das alles nicht ihre leiblichen Kinder sind, aber sie will, dass sie Vertrauen zu ihr haben und sich bei ihr wohl fühlen.

Und dann ist da noch irgendwann irgendwo ein kleines Männchen, von dem gesagt wird, es habe einen Schreibkrampf, und tatsächlich sieht Neila, wie es seine dünnen Ärmchen ganz grässlich nach oben verdreht.

© Angela Nowicki, 22. März 2010

Samstag, 16. Juli 2011

You never can tell

You never can tell what a thought will do
In bringing you hate or love –
For thoughts are things, and their airy wings
Are swifter than carrier doves.

They follow the law of the universe -
Each thing creates its kind,
And they speed o'er the track to bring you back
Whatever went out from your mind.

Ella Wheeler Wilcox (1850 - 1919)


Du weißt nie, was ein Gedanke bewirkt,
Wenn Hass oder Liebe er bringt.
Gedanken sind Dinge, und ihre Schwingen
Sind flinker, als Brieftauben sind.

Sie folgen dem universellen Gesetz,
Das Gleiches zu Gleichem gesellt.
Sie eilen hinaus und bringen nach Haus,
Was ausgesandt ward in die Welt.

Nachdichtung: Angela Nowicki, 16. Juli 2011

Freitag, 15. Juli 2011

Ostreise, Teil 2

Ostreise, Teil 1

Kaum haben wir Cottbus in Richtung Frankfurt/Oder verlassen, zerstiebt der Zauber in ein paar glitzernde Staubkörnchen, es bleibt die Tristesse der Sandigen Kiefernwälder. Ein letztes Mal blinzelt Cottbus uns scherzhaft nach, als in einem jener namenlosen Städtchen ein Tiefkühlkostwagen unseren Weg kreuzt: die "Frostkutsche". "Der Frottbuser Frostkutscher", murmele ich (der den Frottbuser Frostkutschkasten blank putzt). Ich bin mir nicht sicher, ob es nicht doch der Frotsdamer Frostkutscher war.

Als der Hunger unsere Hoffnung, doch noch der Kaufhalle mit dem leckeren Kaffee zu begegnen, an die sich die Hälfte von uns von einer der letzten Fahrten erinnert, überragt... Als der Hunger unsere Hoffnung überragt, lassen wir uns von einem Edeka-Laden verführen, denn dort gibt's immer einen Backwarenstand mit Kaffee. Wir bestellen Bulette mit Brötchen zum Kaffee. Die Bulette braucht mehr Zeit in der Mikrowelle als unser Kaffee zum Abkühlen. Vor uns die blau-gelbe Kaufhalle hinter drei besetzten Kassen. Träge beobachte ich die Menschen beim Gehen und Kommen und höre sie mürrisch miteinander sächseln, so vertraut die zerzausten Frisuren, die leicht eingesunkenen Gestalten, die allesamt irgendwie klein wirken, verhuscht, die verlebten Gesichter, die angegrauten Karohemden und Lederjacken, bin ich zu Hause? Nein, ich bin in Brandenburg, gar nicht weit von Berlin, und wenn ich genauer hinhöre, höre ich das auch: Sie sächseln ja gar nicht; hier ist wenigstens die Sprache fast sauber. Jetzt sehen die Menschen anders aus. Ja, sie sind noch klein und grau und knittrig, aber die hier wirken so gar nicht phlegmatisch, betulich und urprotestantisch durchtränkt. Sie bewegen sich doch rascher, sie sind frech und offen, sie machen einen sehr cleveren und viel jugendlicheren Eindruck. Die Kaufhalle hat sich nicht verändert. Die Menschen haben sich nicht verändert, kein bisschen, sie sehen noch genauso aus wie vor zwei Minuten. Ich habe sie nur sprechen hören. Von wie viel Vorurteilen lebt Sensitivität?
Unsere Bulette kommt. Mit Brötchen. Das, was da vor uns auf dem Teller liegt neben einer Alutube Spreewälder Senf, sieht... nun ja... interessant aus - aber eine Bulette ist das bestimmt nicht. Es hat die Form einer zusammengedrückten Walnuss und ist auch nicht viel größer. Weniger interessant die Farbe: "Es" ist grau, und wenn man es durchschneidet, ist es immer noch grau und erinnert in seiner Konsistenz an gemahlenes Klopapier. Der Geschmack gibt mir Recht. Aber das Brötchen ist eine Erleuchtung. Endlich weiß ich, was "Wessi-Brötchen" sind! Ich habe mich in den vergangenen dreizehn Jahren immer gewundert, wieso fast der komplette Osten einen derart hitzigen verbalen Kreuzzug gegen West-Brötchen, besser bekannt als "Wattebrötchen" oder "Luftsemmeln", führt. Ich hatte keine Ahnung, was die meinten, unterstellte ihnen insgeheim geopolitische Voreingenommenheit. Jetzt beiße ich gerade in mein erstes Wattebrötchen. Der Inhalt löst sich umgehend in Luft auf, und die Kruste krümelt fast vollständig auf den Teller zurück. Es ist sehr schnell gegangen, ich habe kaum etwas gemerkt - außer dass mein Mund trocken geworden ist. Der Kaffee wenigstens ist nass und heiß, das muss man ihm zugute halten. Ansonsten beleidigt er selbst den berühmten sächsischen "Bliemchenkaffee", der so heißt, weil er mühelos die Betrachtung des Blümchenmusters am Tassengrund ermöglicht. Beim Genuss, dem einzigen, der nächsten Zigarette auf dem Parkplatz, haben wir für einen Moment die Vision "Ein Brandenburger kommt nach Chemnitz und bestellt an einem beliebigen Imbissstand eine Bulette mit Brötchen". Eine dicke handtellergroße Bulette aus echtem Fleisch und ein knuspriges, weich gefülltes Brötchen, noch nicht mal das beste vom Bäcker. Der würde sich überfressen! Gut, solch gefärbtes Wasser haben wir auch schon zu Hause getrunken, das kommt vor. Beim nächsten Mal holen wir die Thermosflasche wieder aus dem Schrank.

Von Frankfurt nach Küstrin verläuft die Bundesstraße entlang der Oder. Einige Male sehen wir sie aufblitzen oder eher aufscheinen, denn die Oderarme sind teilweise gefroren und mit Schnee bedeckt. Unter der Küstriner Grenzbrücke treiben Schwärme kleiner Eisschollen; von Weitem sieht der Fluss wie aufgeschäumt aus. Am Grenzübergang vor uns ein polnischer Kleintransporter. Auf dem rechten Flügel der Hecktür zieht ein stühlchenkippelndes Strichmännchen unsere Aufmerksamkeit auf sich, daneben ein paar Krakel: "8 Personen". Kurz darauf muss der Chauffeur der Zöllnerin diese Tür öffnen. Hinter einem Stapel aus Taschen, Koffern und Päckchen reckt sich der Oberkörper einer verführerischen jungen Frau. Volle, rot lackierte Lippen lachen unter einem Wust kupferfarbenen Haars hervor, die kajalunterstrichenen Augen blitzen schelmisch. Nicht lange darauf taucht neben ihr der zweite Frauentorso auf, nicht weniger jung und attraktiv. Das ganze Bild - offene Hecktür, Gepäckstapel und Frauen - wirkt sonderbar zweidimensional, der Stauraum des Transporters scheint keine Tiefe zu haben, wie ein lebendes Gemälde eines sehr wörtlichen Bordells auf Rädern ("burdel na kółkach" - deftige polnische Umschreibung für ein fürchterliches Durcheinander oder "Tohuwabohu"). Die Zöllnerin schaut und redet, der Chauffeur gestikuliert, die beiden Frauen lachen. Nach etwa einer Minute ist der Spuk vorbei, der Transporter startet und fährt ein paar Meter weiter rechts ran. Nein, er wird nicht gefilzt, er hält nur an, wahrscheinlich, damit der Fahrer die Papiere wieder wegpacken kann. Wir werden durchgewinkt. Als wir am Transporter vorbeifahren, sehen wir eine andere Realität: Das Fahrzeug hat zwar tatsächlich einen sehr kleinen Stauraum im Heck, aber nur, weil es mit drei Sitzreihen ausgestattet ist und - ja - voll besetzt mit den rückseits deklarierten acht Personen, die durchaus nicht alle jung und verführerisch und weiblich sind. Augenscheinlich ein Werkstransport, es ist früher Donnerstag Nachmittag, die Arbeiterinnen und Arbeiter kehren von der Schicht westseits der Oder heim.

Ostreise, Teil 3

Donnerstag, 14. Juli 2011

Human Design: Der Generator

May I introduce myself? I’m a Generator.

Damit gehöre ich dem mit Abstand häufigsten Typ des Human Design an – 37 Prozent der Menschheit sind reine Generatoren, und 33 Prozent gehören zum Untertyp des Manifestierenden Generators. Deshalb soll das folgende "wir" kein Pluralis majestatis sein, sondern ein Zeichen der Verschwisterung.

Das Kennzeichen des Generators ist ein definiertes Sakralzentrum. Wer ein definiertes Sakralzentrum hat, ist immer ein Generator, ob rein oder manifestierend. Das bedeutet, dass wir beständig Energie generieren können, und das bedeutet: Wir sind die Arbeitspferde der Welt. Leider wurde das Jahrhunderte und Jahrtausende lang von den Herrschern der Welt, den Manifestoren, und den Lehrmeistern, den Projektoren, ausgenutzt, die uns mit Vorliebe zu Sklaven gemacht und die Welt auf unseren Rücken erbaut haben.

Es gibt jedoch nichts Frustrierenderes für uns, als ununterbrochen Arbeiten ausführen zu müssen, ohne Rücksicht auf unsere Energiereserven und unsere körperliche und seelische Bereitschaft. In Wirklichkeit sind wir nämlich ungeheuer fruchtbar, denn das Sakralzentrum ist das Fruchtbarkeitszentrum. Befriedigung ist unser Schlüsselwort. Generatoren müssen selbstbezogen sein. In unserem Leben dreht sich alles um eine Arbeit, die uns ganz erfüllt. Jedem Generator sollte man sagen: Lass dich nicht ausnutzen! In deinem Leben geht es nur darum, was du liebst, und nur das zeigt dir, wer du bist, und macht dich glücklich.

STRATEGIE: Das funktioniert jedoch nur, wenn wir auf jede Arbeit, die sich uns bietet, "aus dem Bauch heraus" reagieren. Der reine Generator ist nicht zum "Macher" bestimmt, wie der Manifestor, er kann nicht einfach hingehen und ein Projekt aus dem Boden stampfen. Dafür hat er eine unvergleichlich beständigere Energie zur Verfügung als jener, die es ihm erlaubt, über lange Zeit mit vollem Einsatz zu arbeiten. Und Arbeit gibt es wahrlich mehr als genug. Wenn immer gesagt wird, der Generator müsse warten, bis sich eine Gelegenheit zu reagieren bietet, dann ist damit nicht gemeint, dass wir im Sessel sitzen und Däumchen drehen sollen, bis uns eine Arbeit vor der Nase vorbeispaziert. Wenn wir in die Küche gehen und das schmutzige Geschirr sehen – wenn uns die Idee zu einem tollen Bild kommt – wenn der Nachbar Hilfe beim Möbelpacken braucht... Es gibt viel mehr Arbeit auf der Welt als Generatoren, und das Schöne ist: Wir sehen die Arbeit auch. Nur ist das noch lange kein Grund, sie aus lauter Pflichtgefühl (und weil die anderen Typen auf diesem Auge ja gern blind sind) auch immer zu erledigen.

Und dafür haben wir unser ganz persönliches Wunder: unser definiertes Sakralzentrum, unsere "Bauchstimme". Manche hören sie tatsächlich (so etwas wie ein leises Grummeln im Angesicht einer Entscheidung, etwa: "hmmm" = :-) / "uäääh" = :-( ), aber alle können die Antwort an ihrer spontanen Körperreaktion ablesen (Zuneigung oder Abwehrhaltung). Und unsere Strategie besteht darin, stets nur das zu tun, wozu unsere Bauchstimme ihr archaisches "Oh, ja!" gegeben hat. Unserer sakralen Reaktion zu vertrauen und zu folgen. Die zeigt uns nämlich zuverlässig, wofür uns gerade Energie zur Verfügung steht, und das ist dann immer eine erfüllende Arbeit, Unternehmung, Beziehung oder was auch immer.

Wie es aussieht, habe ich wohl ein gutes Verhältnis zu diesem Generator in mir, denn auch ohne Human Design habe ich instinktiv mein ganzes Leben so gehandelt. Und jetzt kommt das zweite Wunder, das diesem Typ von außen zuteil wird, wenn er seiner Strategie folgt: Das Leben fügt sich ihm! So war es bei mir immer, wenn ich meinem Schicksal einfach vertraut und nicht versucht habe, etwas zu erzwingen oder zu beschleunigen. Als ich beschloss, mich als Übersetzerin selbstständig zu machen, erstellte ich mir eine ordentliche Homepage, registrierte mich in mehreren Übersetzerdatenbanken und verschickte eine Handvoll Angebote an Unternehmen. Genau eine Woche vor meinem ersten Tag als Selbstständige klingelte das Telefon, und ein Übersetzungsbüro fragte an, ob ich auch Dolmetscheinsätze übernehmen würde. Das hatte ich noch nie gemacht, ich hatte bislang ausschließlich schriftlich übersetzt. Ich meinte, ich könne es ja versuchen, und die Dame meinte das auch: "Dann fahren Sie mal sofort zum Zollamt." Kaum hatte ich aufgelegt, klingelte das Telefon wieder, und ein anderes Büro wollte mich zum Dolmetschen zur Polizei schicken. Der Witz war, dass ich zwar schon nebenberuflich übersetzt, aber noch nie gedolmetscht und vor allem seit fast zwei Jahren keinen Auftrag mehr gehabt hatte!

Eine Woche später "eröffnete" ich mein "Büro" und – wartete. Einen Monat. Dann kam der erste große Auftrag, bald eine ganze Serie, und schon nach einem Jahr konnte ich sagen: Ich kann von meinem Job leben. Ungelogen: Um keinen der Aufträge, die ich bisher bekommen habe, habe ich mich aus eigener Initiative bemüht! Sie sind mir alle "vom Himmel gefallen", erst hauptsächlich über meine Homepage, später dann natürlich auch über Mundpropaganda oder Vitamin B, aber immer ohne mein aktives Zutun. Im Gegenteil – wenn ich mich schon mal aktiv um einen Auftrag bemüht habe, konnte ich sicher sein, ihn nicht zu bekommen. Das Witzigste war ein Verlag, der mich offensichtlich nicht nehmen wollte, als ich versuchte, das nächste Buch eines seiner renommierten fremdsprachigen Autoren zu übersetzen, weil die bislang erschienenen Bücher dieses Autoren sehr schlecht übersetzt worden waren. Ich riss mir fast ein Bein aus, um den Job zu kriegen – und hörte nichts mehr. Ein halbes Jahr später rief mich eine befreundete Übersetzerin an und fragte, ob ich ein Buch für ebendiesen Verlag übernehmen würde, weil sie leider keine Kapazitäten mehr frei habe. Seitdem hat sich eine wunderbare und enge Zusammenarbeit mit dem Verlag entwickelt, und ich übersetze mittlerweile auch Texte des besagten Autors. Der Witz war nur, dass die Bekannte, die mir den Job verschafft hat, sich ganz aus eigenem Antrieb bei mir gemeldet hatte, ohne zu wissen, was im Vorfeld gelaufen war. Kismet, sagt man wohl.

Kismet war es wohl auch, als in dem fatalen Jahr 2008, als mir kurz hintereinander beide Eltern starben, mein Bruder an Krebs operiert wurde, wir einen Autounfall hatten, zwei geliebte Haustiere starben... als in diesem fatalen Jahr einfach mal monatelang die Aufträge fast ausblieben, damit ich mich in Ruhe meinem gerade im Durchdrehen begriffenen Privatleben widmen konnte. Als endlich alles wieder in der Reihe war, kamen die Aufträge wieder. Und ich konnte in aller Gemütsruhe reagieren, und meine sakrale Stimme sagte laut und vernehmlich: "Jaaa!"

Kismet ist das, was alle Generatoren in sich tragen, wenn sie ihre Strategie des Wartens leben. Dann nämlich erhalten sie Zugriff auf die größte Macht auf Erden: die Macht der Empfänglichkeit. Ein definiertes Sakralzentrum ist wie ein starker Magnet, der alles anzieht, was mit ihrer Wesensart und ihren Fähigkeiten in Resonanz steht.

Liebe Generatoren, ich kann euch allen nur ans Herz legen: Es ist wahr! Ihr braucht dem Leben nicht hinterherzulaufen (was sowieso nichts nützen würde), sondern ihr könnt das Leben zu euch kommen lassen. Glaubt mir – es kommt.

Liebe Projektoren: Ihr habt so viel zu geben. Aber, bitte, haltet euch damit zurück, bis wir von selbst zu euch kommen. Und glaubt mir – wir kommen.

Liebe Manifestoren: Ohne euch würden wir heute noch in Höhlen leben. Aber, bitte, seid so gut und informiert uns, bevor ihr uns überrennt. Und glaubt mir – dann sind wir die fleißigsten und zuverlässigsten Arbeiter, die ihr euch wünschen könnt.

Liebe Reflektoren, euch kenne ich leider noch nicht. Stellt euch doch mal vor, es würde mich sehr freuen.

Und liebe Manifestierende Generatoren, ihr seid nächstes Mal dran. Eigentlich wollte ich heute auch über euch schreiben, aber der Artikel ist mir jetzt ein bisschen aus dem Ruder gelaufen (verbale Adipositas sozusagen). Ich hoffe, ihr seid mir nicht böse.

Ach ja, das NICHTSELBST-THEMA des Generators ist übrigens Frustration. Das passiert, wenn er dem Leben hinterher läuft. Dann läuft es ihm nämlich davon, und er ist frustriert. Oder wenn er sich auf etwas einlässt, was ihm eigentlich zuwider ist. Dann streicht sein Sakralzentrum ihm das Energiekontingent, und er ist... Ihr wisst schon.

© Angela Nowicki, 14. Juli 2011

Mittwoch, 13. Juli 2011

Nachtlied

Schon fällt Dunkel auf die große Stadt.
Müde wird der Lärm, der Tag ist satt.
Langsam zieht er sich zurück, und es wird kalt.
Nur der Wind, der aus den Steppen kommt, macht niemals Halt.

An der Haustür steht die Hanna Cash.
Niemand fragt sie, wo sie schläft heut Nacht,
so wie sie auch keinem Antwort gäb darauf.
Nur dem Steppenwind erzählt sie, was sie manchmal braucht.

Jeder hat ein Bett, so soll es sein,
und ein Dach, und es gibt Mein und Dein.
An nichts fehlt es uns und keiner, der verliert.
Nur der Wind der Steppen weiß, wer, wenn es Nacht wird, friert.

Ach, der Wind, er mag wohl weise sein.
Er sah Menschen jubeln, Menschen schrein.
Alles, was die Kreatur zum Vorschein bringt,
alles nahm er in sich auf und schweigt davon und singt.

***

Lang schon schweigt sie still, die große Stadt.
Niemand regt sich mehr, kein Stein, kein Blatt.
Hanna Cash geht müden Schritts hinab zum Wald.
Und der Wind, der aus den Steppen kommt, macht niemals Halt.


© Angela Nowicki, 1977