Freitag, 31. Januar 2014

A day in the life

They'd seen his face before.

Irgendwann fiel mir auf, dass alle Frauen, die heute ihre Hunde ausführen, dick und rothaarig sind.
Im selben Moment fiel mir mit gelindem Schreck ein, dass auch ich dick und rothaarig bin.
Aber ich habe keinen Hund.
 
 

Donnerstag, 30. Januar 2014

Orientierungsverlust


Ich bin in einer Stadt angekommen mit dem Namen Reichenbrand. Auf dem Marktplatz soll ein Raffael stehen, den will ich sehen.
Ich laufe über den schmalen Marktplatz, finde aber nichts. Ich bin mir nicht sicher, ob es eine Statue oder ein Gemälde sein soll, doch ich finde wirklich keinen Raffael. Laufe über eine Baustelle, quatsche mich an Marktständen vorbei - nichts. Er sollte sowieso ziemlich am Anfang stehen, das habe ich auf der Karte gesehen. Da muss ich wohl noch mal nachfragen.

Unversehens bin ich in einen Bus eingestiegen, von dem ich nicht weiß, wohin er fährt. Ich gehe davon aus, dass er mich einfach nur auf die andere Seite des Marktes bringen wird und dann zurückfährt. Ich bin zu schwach, um so weit zu laufen.
Neben mir und gegenüber sitzen zwei Männer. Als der Bus die andere Seite vom Markt erreicht, fährt er einfach weiter, eine lange, gerade Asphaltallee entlang und mitten in eine Baustelle hinein, die ein riesiger Krater ist. Es sieht aus wie ein stillgelegter Tagebau. Ich frage die Männer, wohin der Bus fahre - weit -, und rufe, da müsse ich wohl sofort aussteigen, wenn ich nicht so weit zur Stadt zurücklaufen will. Sie lachen, rufen „Ja!‟, sie sind lustig und nett.

Mitten in der Grube steige ich aus und klettere mühevoll die steile Grubenwand hoch. An dieser Seite ist der obere Rand von welligen, leuchtend roten und gelben Rändern eingefasst, die aussehen wie dick gekleisterte Ölfarbe, so:

Mit mir klettern noch viele andere die Grubenwände hoch. Es hat den Anschein, als kletterten sie um ihr Leben. Als ich den Rand schon fast erreicht habe, versperrt uns (direkt an meiner linken Seite klettert noch eine Frau) ein Rohr den Weg. Eine dicke Rohrleitung läuft am oberen Grubenrand entlang. Ich will schon aufgeben, da drücke ich gegen das Rohr, und es lässt sich ganz leicht nach links wegschieben. Der Ausstieg über den verwurschtelten Ölfarbenrand ist gar nicht schwer. Ich hatte befürchtet, mich nicht hochhieven zu können, doch ich bin ganz leicht.

Nun stehe ich oben in der diesigen, gleißenden Landschaft und überlege, in welcher Richtung wohl Reichenbrand liegt. Ich habe die Orientierung verloren.

Mittwoch, 29. Januar 2014

Als letztes vor der Ferne...

Was ich will?
Eine Wohnung, am liebsten eine Hexenvilla, an einem Ort, der nicht Chemnitz ist, in Stille und Bäumen, in denen der Wind rauscht, in einer Gegend, die nach einem Jahr noch Neues birgt.

Dienstag, 28. Januar 2014

Clara


Da war ich. Irrte über die britische Steilküste. Spürte den kurzen Rasen unter meinen nackten Füßen. Bis das Kind erschien.
Vorher sah ich mehrere Bilder. Das erste war ein Glaskrug mit ganz klarem Wasser darin. Ich trank davon, wusch mir damit Hände und Arme, Gesicht und Augen, schüttete es mir über den Kopf. Am Körper fühlte sich das Wasser leicht ölig an.
Später sah ich eine Gestalt im schwarzen Umhang, die von einem Maibaum herunterrutschte. Der Maibaum blieb, die Gestalt verschwand.

Das Kind war heute ein kleines bisschen größer und dünner, sein Haar nicht mehr ganz so verfilzt, dafür länger, und es war deutlich sanfter.
„Natürlich, es geht weiter. Gut, dass du gekommen bist‟, begrüßte es mich. „Da machen wir doch zuerst mal ein Lagerfeuer.‟
Mit groben Holzscheiten entzündete es ein kleines Feuer auf der Klippe über der Irischen See, und dann fragte es mich, wo Lukas sei.
„Ich weiß nicht, er ist einfach nicht aufgetaucht. Ich habe ihn aber auch nicht gerufen, weil ich dachte, wir brauchen ihn nicht.‟
„Doch, dein Pferd sollten wir schon dabei haben‟, entgegnete das Männchen.
Ich wollte loslaufen, um Lukas zu suchen, doch der Kleine meinte, es sei sinnvoller, hier am Lagerfeuer zu bleiben und ihn zu rufen, so werde er uns am leichtesten finden.

Während wir auf Lukas warteten, fragte ich das Kind, ob es uns bei der Wiederholung meiner Kindheit und Jugend denn gelingen werde, es zu befreien.
„Ich bin doch frei‟, erklärte es nachdrücklich. „Ich bin nicht dein Kind. Ich bin dein befreites Kind!‟
Dann erschien Lukas.
„Es ist besser, wenn du erst zu unserem alten Treffpunkt in der Steppe kommst und mich dort rufst und suchst‟, sagte er sanft zu mir und nahm am Feuer Platz.
Ich umarmte ihn zärtlich, und Lukas sagte: „Du bist am Ende deiner Transformation angekommen. Bald wirst du mich nicht mehr brauchen.‟

Das Kind zog einen großen goldenen Kreis um mich und meinen Maibaum, an dem viele bunte Bänder flatterten. Im daran anstoßenden Kreis erwartete ich meinen Urgroßvater Alwin, doch dann stand dort eine ältere Frau, und das war meine Urgroßmutter Clara.
Zunächst einmal bat ich die geistige Welt um Beistand, dann begrüßte ich Clara und erklärte ihr, dass ich für die Erfahrungen dankbar sei, die ich mit ihren Lasten gemacht habe, dass es aber nicht meine Lasten seien und ich sie ihr jetzt zurückgebe. Ich wünschte ihr Segen auf ihrem weiteren Weg und sagte, ich gehe von nun an meinen.
Als Nächstes mussten die Lasten zurückgegeben werden. Längere Zeit fühlte ich genau, Stück für Stück in meinen Körper hinein. Ich spürte etwas in meinem gesamten Unterleib, in der linken Brust und in der Kehle. Vor mir erschien ein kleiner, vollgepackter Rucksack. Ich schob ihn bis zu Clara hinüber und sah dann zu, wie er ihr aufgeschultert wurde. Dann jedoch erschien hinter ihr eine große Gestalt, die ihr diesen Rucksack abnahm und damit fortging.
Nun ging es ans Hauptwerk: Verstrickungen suchen, lösen, auflösen und die Schnittstellen heilen. Ich suchte, und den Rest machte wieder das Kind mit seinem blauen Lichtschwert.
Mit Clara war ich wesentlich stärker verstrickt als mit August, meinem Ururgroßvater. Zuerst fand ich eine Nabelschnur, die von ihrer rechten Brust ausging. Die größte und stärkste aber ging von ihrer linken Brustwarze aus, und diese Brustwarze war völlig verunstaltet, eine große knotige Wucherung. Dort blieb nach der Abtrennung auch eine große offene Wunde zurück, für deren Heilung das blaue Licht sehr lange brauchte. Bei mir saßen die Verbindungen alle zwar in derselben Körperregion, aber nicht an genau derselben Stelle wie bei ihr.
Nachdem etliche einzelne Stricke zwischen uns erfolgreich entfernt worden waren, trat ich aus mir heraus und schaute uns beide von der Seite an. Da erst entdeckte ich ein regelrechtes Geflecht zwischen unseren Körpern, das sie eng aneinander band. Jetzt ging das Kind mit dem blauen Licht pauschal von der Seite an dieses Geflecht heran. Es durchtrennte sie einfach mit einem langsamen Schnitt durch die Mitte von oben nach unten und löste dann erst die Schnüre in ihrer Gesamtheit auf und heilte die Wunden.
Noch einmal sah ich mir das Ganze von außen an. Und wieder waren wir miteinander verflochten, jetzt allerdings schon mit viel feineren Fäden und nicht so vielen. Noch einmal wiederholte das Kind die Ablösungsprozedur, und erst dann waren wir endgültig getrennt, und ich konnte keine Verbindungen mehr finden.

„Wasser‟, sagte das Kind nach kurzer Überlegung. „Clara gehört ins Wasser.‟
Wir legten ihren leblosen Körper auf eine große Plane und trugen ihn zum Strand hinunter. Dort übergaben wir ihn dem Meer, wo er sich vor unseren Augen in recht kurzer Zeit rückstandslos auflöste.
„Geh in Frieden!‟ rief ich ihr hinterher.



Natürlich musste auch ich jetzt ins Wasser. Ich lief weit hinein ins Meer und tauchte und schwamm und spritzte und wurde immer übermütiger, bis das Kind mich ans Ufer rufen musste, sonst würde ich wohl jetzt noch schwimmen.
Als ich herauskam, trug das Kind auf einmal einen leuchtend roten Flanellschlafanzug mit lauter bunten Bildern drauf. Es führte mich zu dem knorrigen Baum, und auch ich bekam einen solchen Schlafanzug, in dem ich sofort wieder zum Kind wurde. Ich tanzte mit dem Kobold, wir tollten und lachten wie die Wilden und vergaßen die Zeit dabei, bis wir erschöpft und immer noch lachend neben dem Lagerfeuer niedersanken.
 

A day in the life

A crowd of people stood and stared.

Das Kind hinter mir im Bus: „Die sollen aufhören!‟
Die Mutter: „Was?‟
„Die sollen aufhören mit Reden! Ich will nicht, dass die reden!‟
„Wer redet denn?‟
„Na, die Familie! Die reden und reden dauernd, ich kann das nicht leiden!‟
-
Ruft laut: „Die sollen endlich aufhören mit Reden!‟
„Scht, still!‟
„Ich kann das nicht leiden, wenn die dauernd reden, die sind dunkel! Die sollen aufhören, wo die auch noch dunkel sind!‟
-
Eine sächselnde Frauenstimme sagt die Haltestellen an. Gießerstraße: „Nächste Haltestelle: Kießerstraße.‟
Es müssen viele Schwarzfahrer unterwegs sein, wenn sie sich keine Schauspielerin mehr leisten können.
„Nächste Haltestelle: Henriettenstraße.‟
„Ich kann das nicht leiden, wenn die immer sagt Henriettenstraße!‟
 
 

Sonntag, 26. Januar 2014

Die Abschiedsfeier


In einem langen Gebäude feiern wir Abschied. Es sieht fast wie ein U-Boot aus: ein langer Gang, von dem rechts die Räume abzweigen.
Ich gehe in den zentralen Raum und setze mich an einen Tisch. Ist das unpassend? Werden die anderen mich ignorieren, verjagen, mit strafenden Blicken bedenken? Nichts dergleichen. Die Jungs lachten mir zu. Es sind Bekannte aus meiner Vergangenheit, Schulkameraden. Sie lachen mir zu, und manche kommen an meinen Tisch. Die Mädchen sind in Bewegung, laufen von einem Raum zum anderen, und die Jungs sitzen in den Räumen, und jeder bedenkt jeden überreich mit der gleichen freudigen Aufmerksamkeit. Niemand wird bevorzugt. Alle sind der Star.

Wieder einmal erscheint Robby mit den zertrümmerten Füßen in den glänzend braunen orthopädischen Knöchelschuhen, Robby, die Inspektorin. Sie liegt da und fragt mich nach unserer kürzlichen Vergangenheit aus. Eine Tür ist zugemauert worden. „Warum haben sie das umgebaut?‟ Der Kellereingang hat es nötig gehabt. „Aber dort unten‟ - ich weise nach links zur Kellertreppe - „ist bestimmt noch viel mehr zu tun.‟
Ich spaziere bis zum Ende des Gangs. Dort ist Schluss. Hier beginnt eine andere, eine alltägliche Welt. Das ist neu. Ich erinnere mich, dass unser U-Boot früher hier noch weiterging, noch mehr Räume hatte. Nun ja, es ist ein Abschied, wir haben wohl schon abgespeckt.

Als ich zurück in ein anderes Zimmer komme, sitzen dort ganz viele, und einer, der links mit dem Rücken zu mir sitzt, spielt Gitarre. Ein wunderschönes, gut bekanntes Stück aus der alten Zeit. Kein Blues, etwas sehr Melodisches, Melancholisches. Am U auf seiner Schulter oder an der Gitarre erkenne ich im Gitarristen Uriah. Ich setze mich und bin sehr glücklich. Ich wünsche mir zum Abschluss des Tages noch eine Affäre mit Uriah. Auch wenn er glücklich verheiratet ist.
Auch wenn ich verheiratet bin. Jake hat im Schlafzimmer eine Flasche Sherry geöffnet und gläschenweise an die Leute verteilt. Auch ich halte ein Gläschen mit Sherry in der Hand. Als Uriah Gitarre spielt, gehe ich mit Jake ins Schlafzimmer, um mir noch ein Glas Sherry zu holen. Der würzige, goldene Wein schmeckt mir so gut, dass ich Lust bekomme, mich heute Abend zu betrinken. Jake will mir das verbieten. „Ich will aber!‟ Es ist seine Flasche. Er nimmt sie mit nach draußen, und ich sorge mich, dass ich wirklich keinen Sherry mehr bekommen könnte.
Ich bin nicht schuld, und was ich schuld bin, war eine Schuld, die ich vollziehen musste, ich kann ja nicht anders.
Te absolvo.