Donnerstag, 30. Juni 2011

Human Design: Die Typen

Das Human Design teilt die Menschen ganz grob zunächst einmal nach vier Kategorien ein: nach dem energetischen Typ, der inneren Autorität, der Art der Definition und dem Profil. Auch wenn diese Einteilung sehr pauschal ist, kann man ihr doch bereits eine Menge nützlicher Hinweise zur allgemeinen Funktionsweise und dem daraus folgenden sinnvollsten Verhalten eines Menschen entnehmen.

Zunächst einmal die Typen. Davon gibt es vier und einen Untertyp. Sie werden davon bestimmt, welche Zentren in der Körpergrafik definiert und miteinander verbunden sind. Hier kann man seine Körpergrafik berechnen und anzeigen lassen: Jovian Archive: Get your Free Chart. (Wie für eine astrologische Analyse, ist auch hier die möglichst exakte Geburtszeit vonnöten. Wer sie nicht kennt: Die kann man gegen eine geringe Verwaltungsgebühr beim Standesamt des Geburtsorts erfragen.) Die Seite ist englisch, aber für die Eingabe der persönlichen Daten dürfte das kein Problem darstellen.

Am leichtesten erkennt man den Reflektor. Dieser Typ kommt äußerst selten vor, und man erkennt ihn daran, dass in seiner Körpergrafik kein Zentrum definiert ist. Damit hat er keine festgelegten Persönlichkeitseigenschaften, er ist vollständig offen für die Außenwelt. Ich selbst kenne keinen Reflektor, stelle mir so einen Menschen aber wie ein Chamäleon vor. Oder wie einen Menschen "ohne Haut", vollkommen durchlässig. Wenn der Reflektor aus seinem Nichtselbst lebt, lässt er sich von seiner Umwelt vollständig konditionieren. Lebt er aber aus seinem Selbst, folgt er also seiner Strategie, indem er sich mit nichts, was auf ihn einströmt, identifiziert, sondern es nur beobachtet, kann er ungeheuer weise werden und zudem anderen Menschen zur Selbsterkenntnis verhelfen (so sie es wollen), weil er sie, wie der Name schon sagt, intensiviert spiegelt.
Es kursieren etliche berühmte Reflektoren im Internet, die meisten davon sind aber nach meinen Berechnungen gar keine. Der einzige, den ich bisher bestätigt gefunden habe, ist Fjodor Dostojewski.
STRATEGIE: Im Gegensatz zu den anderen "solaren" Typen ist der Reflektor ein "lunarer" Typ, das heißt, er schwingt mit den Mondphasen. Deshalb sollte ein Reflektor einen Mondumlauf abwarten, bevor er eine wichtigere Entscheidung trifft, das sind 28 – 29 Tage. In dieser Zeit sollte er so viel wie möglich mit anderen über seine Pläne sprechen und sich dabei vor allem selbst zuhören.
NICHTSELBST-THEMA: Enttäuschung

Wenn jemand definierte Zentren in der Körpergrafik hat, sein Sakralzentrum aber undefiniert und keiner der anderen drei Motoren (Herz-, Solarplexus- und Wurzelzentrum) mit dem Kehlzentrum verbunden ist, ist er ein Projektor. Mit einem undefinierten Sakralzentrum hat man keine verlässliche und stetige Energie zur Verfügung, deshalb gehört der Projektor, wie der Reflektor auch, zu den "Nicht-Energie-Typen". Wenn zudem kein Motor mit dem Kehlzentrum, dem Zentrum der Manifestation (Handeln und Kommunizieren), verbunden ist, ist man nicht in der Lage, jederzeit aktiv zu werden oder sich mitzuteilen, wie man gern möchte. Daher sind Projektoren von Natur aus keine "Arbeitstiere", dafür aber gute Beobachter mit einem meist exzellenten Gespür für das Energiepotenzial anderer Menschen. Sie eignen sich am besten als "Lehrmeister" im weitesten Sinne. Das lässt sich gut am Bild eines Filmprojektors (daher der Name dieses Typs) verdeutlichen, der einen Film aus sich heraus nach außen projiziert, so dass alle Menschen ihn sehen und daraus einen Nutzen ziehen können.
STRATEGIE: Ich kenne etliche Projektoren in meinem Umfeld. Das sind Menschen, die wissen, dass sie etwas Wertvolles besitzen (Wissen, Fähigkeiten, Erkenntnisse usw.) und die es deshalb drängt, anderen damit Gutes zu tun. Tun sie das jedoch ungebeten, stoßen sie oft auf Zurückweisung, denn viele Leute empfinden so ein Verhalten als respektlos. Um das zu vermeiden, sollten Projektoren immer auf Anerkennung und Einladung warten, bevor sie aktiv werden. Das fällt ihnen oft nicht leicht, weil sie Angst haben, dass ihre Fähigkeiten ohne ihr Zutun nie erkannt werden könnten. Diese Angst ist jedoch unbegründet, denn wenn sie im Einklang mit ihrem Selbst leben, beginnt ihre Aura, von selbst andere anzuziehen, die dann auf sie aufmerksam werden und sich an sie wenden werden, wenn sie ihren Rat oder ihre Hilfe brauchen.
NICHTSELBST-THEMA: Verbitterung

Manifestoren haben ebenfalls ein undefiniertes Sakralzentrum, also keine beständige Energie zur Verfügung, dafür aber mindestens einen der übrigen drei Motoren dauerhaft mit dem Kehlzentrum verbunden. Das sind Menschen, die jederzeit aus sich selbst heraus aktiv werden können. Mit dem undefinierten Sakralzentrum passiert das aber immer nur schubweise, deshalb sind sie nicht sehr ausdauernd. Es sind die berühmten "Macher", die die Initiative ergreifen, etwas in die Wege leiten, die detaillierte Ausarbeitung aber anderen Typen überlassen (sollten). Leider herrscht in unserer Gesellschaft das Ideal des ständig einsatzbereiten, rasch entschlossenen und dynamischen Menschen ("jung, dynamisch, ausdauernd und mit 30 Jahren Berufserfahrung"). Dazu sind aber nur Manifestoren in der Lage, und zu diesem Typ gehören nur acht Prozent der Menschheit! Und die sind noch nicht einmal ausdauernd! Allen anderen Typen wird mit dieser Ideologie Gewalt angetan; sie scheitern mit einer solchen Strategie und werden dann auch noch als Versager angesehen.
Ein typischer Manifestor ist für mich ein mir entfernt bekannter Firmenchef, der unheimlich gern verkauft. Manchmal packt es ihn ("Oh, ich hab grad solche Lust, etwas zu verkaufen!"), und er greift zum Hörer oder setzt sich ins Auto und holt innerhalb kurzer Zeit mehr Aufträge rein als seine Außendienstler in drei Wochen. Mich fasziniert dieses Beispiel, auch weil man daran wunderbar sowohl die erfolgreiche Initiative als auch das schubweise Agieren des Manifestors studieren kann.
STRATEGIE: Manifestoren legen einfach los und überfordern oder überrumpeln damit häufig alle Beteiligten, die sich dann natürlich dagegen wehren oder "mauern", also nicht mitziehen. Dabei brauchen Manifestoren doch motivierte Mitarbeiter, damit ihr Projekt auch fertiggestellt werden kann. Um erfolgreich und auf dem Weg des geringsten Widerstands agieren zu können, müssen Manifestoren alle Betroffenen vorher über ihr Vorhaben informieren.
NICHTSELBST-THEMA: Zorn

Über den vierten Typ, den Generator, und seinen Untertyp, den Manifestierenden Generator, ein andermal.

© Angela Nowicki, 30. Juni 2011

Mittwoch, 29. Juni 2011

Erinnerungen?

Noch bevor ich in die Unterwelt eintreten kann, erscheint auf meiner Lichtung ein Elefant. Er sagt nichts, sondern fliegt mit mir, als kenne er meine Frage schon, durchs Universum bis in einen mächtigen, wirbelnden roten Trichter hinein. Dort tritt nach kurzer Zeit ein kleiner Zauberer hinter einem Vorhang hervor, der eine schwarze Kugel in der Hand hält. Ich will unbedingt hineinschauen. Der Elefant steht neben mir. Die Kugel wird größer und größer und durchsichtig. Es gelingt mir nicht, den Inhalt von außen zu erkennen; als ich mich darauf konzentriere, werde ich sofort in die Kugel hineingezogen.

Ich liege in einem Raum und sehe alles ungeheuer plastisch. Ganz deutlich erkenne ich einen Schrank an der rechten Wand. Auf einmal taucht hinter mir ein Mensch auf. Ganz deutlich ein Mensch – ein Mann. Ich sehe die ganze Gestalt, nur ist sie durchweg schwarz, wie ein plastischer Schatten, und er läuft eilig, aber entschlossen an mir vorbei, hinter meinem Kopf hervor an mir vorbei und raus aus dem Zimmer. Ich bekomme furchtbare Angst. Dieser Mann macht mir furchtbare Angst, und ihm folgen noch viele, nacheinander laufen schwarze, plastische, männliche Schatten an mir vorbei durchs Zimmer. Meine Angst nimmt mir den Atem – da ertönt ein seltsames lautes Geräusch in meinem realen Zimmer. Ich bin fast lahm vor Angst, diese Gestalten könnten sich jetzt und hier materialisieren!
Aus dem Zimmer wird eine Art riesiger Korridor in einem Gerichtsgebäude, ich sehe sogar das Mosaikmuster aus Bodenfliesen und große Türen, und es macht den Eindruck, als hasteten all diese Männer in einen Gerichtssaal… um – mich zu richten?! Im selben Augenblick gibt es einen extrem lauten Knall direkt vor meinem Fenster, so dass ich, wie von der Tarantel gestochen, mit offenen Augen hochfahre. Mein Herz rast, meine Angst rast – das Geräusch kann eigentlich nur von einem großen Vogel gestammt haben, der plötzlich von der kahlen Esche vor meinem Fenster hochgeflattert ist.

Dann sehe ich ein Haus bei Nacht, in dem alle Fenster erleuchtet sind und sperrangelweit offen stehen. Ich schwebe unter der Dachrinne und blicke an der Fassade hinunter. Ein Gedanke läuft mir durch den Kopf: "Die Menschen werden dir ihre Privatsphäre öffnen." Langsam lasse ich mich am Haus hinuntergleiten, bis ich davor stehe, und sehe, dass ich in einer Stadt bin. Ich sehe zum ersten Mal eine Stadt: neben diesem Haus ein Nachbarhaus, dann eine Seitenstraße, dann wieder ein Eckhaus... Ich biege in die Seitenstraße ein, an deren Ende eine erleuchtete, halbrunde Gestalt vom Horizont aufzusteigen scheint, aber dorthin gelange ich nicht, sondern finde mich dauernd an anderen Plätzen wieder, wobei ich überlege, was das für eine Stadt sein könnte. Einmal stehe ich vor einer Reihe antiker Säulen (Brandenburger Tor? Rom?), hinter denen ein massives Gebäude, ähnlich einem Rathaus oder Museum, aufragt. Dann wieder Straßenecken, hohe Häuser...

Am Ende verwirrt sich alles, und ich trete aus der Kugel heraus, suche meinen Elefanten und bitte ihn zurückzufliegen. Er nimmt mich aber nicht wieder auf den Rücken, sondern läuft vor mir her. Wieder geht es ein Stück durch den Kosmos, doch nicht zurück, sondern in eine andere Welt. Dort finde ich mich in einem Gefängnis wieder, aus dem ich sofort durch das vergitterte Fenster ausbreche. Ich habe das Gefühl, im 2. Weltkrieg zu sein. Ich springe über die Gefängnismauer und renne in eine Kiefernwald-Landschaft hinein. Ich habe das starke Gefühl: Das ist Russland. Und ich sehe alles ganz deutlich: zuerst eine sandige, gras- und strauchbewachsene Hügelebene (ich denke sogar an Pilze), dahinter ein Kiefernwald. Dorthin will ich fliehen, doch unterwegs laufe ich an Menschen vorbei, die mit ausgestreckten Armen auf dem Bauch liegen. Es sind Tote. Erschossen. Seltsamerweise habe ich hier gar keine Angst mehr.

Als sich wieder alles dauerhaft amorphiert, bitte ich meinen Elefant, endlich zurückzukehren. Er schiebt mich mit dem Rüssel unter seinen Bauch und trabt los. Er macht den Eindruck, als sei er sehr in Eile, wolle so schnell wie möglich von hier weg.

Ich sitze am Ufer eines Sees und erkenne den "Goldsee", der hinter meiner Lichtung liegt. Der See ist ganz still, völlig glatt und glänzt leicht kupferfarben, wie dunkles Gold. Der Elefant aber ist verschwunden, und ich kann mich nicht einmal bei ihm bedanken.

© Angela Nowicki, 26. November 2009

Dienstag, 28. Juni 2011

Gedanken zum Dienstag

Gegen den Wind will wissen, was Liebe ist. Nu, ich weiß es ja auch nicht, aber bisschen spinnen kann man immer...

Wäre zuerst die Frage: Gibt es nur eine Art von Liebe? Man hört ja immer von Mutterliebe im Unterschied zur Partnerliebe, manche Freundschaft fühlt sich sehr liebevoll an, die Christen sprechen von Nächstenliebe, und es gibt sogar Leute, die überall ein Häufchen Liebe und Licht hinterlassen (oder es zumindest behaupten). Sind alle diese Lieben im Grunde das Gleiche? Wenn ja, müsste ihnen ja auch die gleiche Funktionsweise zu Grunde liegen. Und der gleiche Zweck (Teleologie).

Sieht aber nicht so aus.

Gegensätze ziehen sich an

Bei der erotischen Liebe dreht sich doch letztlich alles um Sex. Oder etwa nicht? Also um Fortpflanzung. Oder was sonst? So ist er doch gedacht gewesen, der Sex, und deshalb macht er auch solchen Spaß, weil Fortpflanzung für die Art das Wichtigste überhaupt ist. Ohne die Fähigkeit zum Orgasmus (und wenn Männer nicht ständig an A&T denken würden, jawoll!), wären wir längst eine Randbemerkung der Geschichte. Arterhaltung erfordert Anpassungsfähigkeit. Anpassungsfähigkeit erfordert ständige Mutation, und die ist nur gewährleistet, wenn ständig frisches Blut in die Sippe strömt. Das nennt man dann Biodiversität. Darum beruht erotische Liebe auf der Anziehung des Andersartigen. Dessen, was NICHT ICH (oder WIR) ist.

Gleich und gleich gesellt sich gern

Man stelle sich aber mal vor, ständig mit jemandem zusammenleben zu müssen, der komplett anders ist als man selbst. Bisschen anstrengend, oder? Ach, wenn es nur ein bisschen anstrengend wäre… Ich denk mal, daran scheitern seit der Romantik und der Einführung der Lebensabschnittspartnerschaft immer mehr Beziehungen. Weil Liebe nur zu oft auf Erotik reduziert wird. Und ist denn Erotik überhaupt Liebe? Wenn man eine Landschaft liebt oder ein Musikstück, hat das mit Fortpflanzung eher nichts zu tun. Man liebt, was einen anspricht, was eine Saite in einem zum Erklingen bringt. Diese Saite muss man aber schon haben, damit sie erklingen kann. Folglich liebt man in Wirklichkeit das Gleichartige, das, was ICH (oder WIR) ist. Das ist die Grundlage jeder Freundschaft, ohne die auch keine Partnerbeziehung oder Ehe auf Dauer funktioniert.

Das wäre mein Antwortvorschlag auf Gegen den Winds Frage, warum der Wunsch nach Kontakt mit einer bestimmten Person vorhanden ist (wenn er nicht auf sexuellen Motiven beruht): Man sucht nach Bestätigung (da haste auch deine Teleologie) seiner selbst. Ich glaube auch, dass eine reine Freundschaft nicht funktionieren kann, wenn man zu verschieden ist. Die Hohe Schule der Toleranz, die auch die Andersartigkeit des anderen voll würdigt, beherrscht ja kaum ein Mensch vollkommen, denn Andersartigkeit stößt immer auch irgendwo ab. Man dürfte keine Selbstbestätigung brauchen, mit einem Wort: Man müsste ein Heiliger sein. Und ich bezweifle, dass das ein anstrebenswertes und überhaupt realistisches Ziel ist, solange wir noch nicht mal unsere eigene Natur ganz verstehen.

Die Mutterliebe, die ich allgemeiner vielleicht als fürsorgliche Liebe bezeichnen möchte, stammt aus derselben genetischen Quelle wie der Drang nach Fortpflanzung: der Erhaltung der Art. Es ist schlicht Brutpflege. Menschen können es sich nicht leisten, Kinder in die Welt zu setzen und sie sich selbst zu überlassen. Fische brauchen keine Mutterliebe. Und ich wage mal eine vielleicht etwas provokante These: Nächstenliebe ist nur erweiterte Brutpflege. Da verlagert man die (vielleicht fehlende oder kaputte) genetische Familie eben auf die ganze Menschheit.

Ich denke, die scheinbar umgekehrte Liebe zu den Eltern ist wieder etwas anderes. Hier geht es wohl eher um eine seelische Stütze, ein Sicherheitsbedürfnis, das gleiche, das viele Menschen in die Arme von Lehrern, Gurus und Religionen treibt. Oder Psychologen.

Die Licht-und-Liebe-Fraktion lasse ich weg, ich glaube jedoch, dass es schon so etwas wie universelle Liebe gibt. Das ist einerseits das Wirken der universellen Gesetze (die postuliere ich hiermit), also das "Schicksal" persönlich, und andererseits deren Annahme durch den einzelnen Menschen. Kann man das überhaupt als Liebe bezeichnen? Mit Gefühlen hat die schließlich herzlich wenig zu tun, umso mehr aber mit Anziehung. So, wie ein Magnet Eisenspäne, ein Vakuum Materie oder der Heinz im Winter seine langen Unterhosen anzieht. Ich will mal nicht sagen, dass das seelenlos ist, so empfindet man das vielleicht, wenn man Seele mit Gefühlen verwechselt.

"Nach müde kommt blöd", wie meine Tochter immer sagt, deshalb höre ich hier auf. Wissen tu ich gar nix. Werd ich auch nie. Zudem ist Denken überflüssiger Luxus, wenn es nicht hilft, besser auf der Erde zurechtzukommen. Macht aber manchmal einfach Spaß. Damit gebe ich meine Gedanken zum Abschuss frei.

© Angela Nowicki, 28. Juni 2011

Montag, 27. Juni 2011

Reise ins Wurzelchakra

In einer raumlosen Vision stiegen nacheinander einzelne Bilder aus dem rotbraunen Dunkel.

Zuerst ein dichter, dunkelroter Spiralnebel. Er hatte eine Nabe: eine leuchtend rote Halbkugel. Darauf saß ein kleiner, durchsichtiger Schmetterling.

Dann ein glänzender, gemauerter Lehmofen in Form eines runden Bienenstocks. Das war ein Brunnen. Aus einer ovalen Öffnung an seiner Vorderseite strömte zwar nicht überreichlich, aber doch behende klares Wasser. Es wurde von einem flachen, halbrunden Trog aus demselben Material wie der Brunnen aufgefangen, der am Boden an den Brunnen angemauert war.

Dann erschien mein Krafttier, das Stachelschwein, mit roten und blauen Ringen auf den weißen Stacheln, die ihn umgaben wie der Federschmuck einen Indianerhäuptling.

Zum Schluss tauchte ein Fenster auf, an dem, mit dem Rücken zu mir, eine Frau lehnte. Sie trug eine grün gemusterte Bluse und einen ziegelroten Rock und hatte lange, rotgoldene Rastalocken. Sie blickte durch das geschlossene Fenster, durch das nichts zu sehen war als grüne Schemen.

© Angela Nowicki, Herbst 2009

Sonntag, 26. Juni 2011

A day in the life

... about a lucky man who made the grade...

Neun Uhr, wie jeden Sonntag, vom Kampfläuten aus dem Bett gefegt worden. Das geht dann dreimal bis halb zehn so.
Was verspricht sich die Kirche von ihren akustischen Angriffen? Wer in die Kirche geht, muss nicht gerufen werden - wer nicht geht, will nicht gerufen werden. Also?
Weil es schön ist? Ähäm... Ich find Janis Joplins Geschrei schön. Möcht mal wissen, was passiert, wenn ich das ganze Viertel damit beschalle.

Da schauen wir uns doch lieber das sonntägliche Chemnitz an.

 
Chemnitz hat Zukunft!

Schwäbisch Hall - Tochter aus gutem Hause!

Tja, selber schuld. Hättste nicht mit den Chemnitzer Schmuddelkindern gespielt!

© Angela Nowicki, 26. Juni 2011

Das ist Ginster!

Wieder sitze ich auf dem Berggrat, von dem ich einst zum ersten Mal auf die Lichtung mit dem Eingang zur Unterwelt gerutscht bin. Ich stehe hoch oben über der Welt, blicke hinüber zum benachbarten Berggrat, die Berge sind verschneit hier oben, aus dem Tal, das ich nicht sehe, dringt blauer Nebel herauf, es ist alles sehr mystisch heute.
Wieder rutsche ich rückwärts nach unten auf die Lichtung. Sie sieht aus wie immer. Ringsum dunkler Nadelwald, geradeaus geht es über eine Böschung hinunter zu einem zweiten, größeren Eingang und zu einem See, der einmal über und über golden geglänzt hat. Die Lichtung ist klein. Ich hätte sie gern größer, weiter, aber es geht nicht. Zu eng alles. Und zu trocken. Sie ist, wie sie von Anfang an war: von dunklem Nadelwald umgeben, grün zwar, aber völlig ausgetrocknet, wie am Ende eines heißen Sommers.
In der Mitte weiß ich meinen Eingang zur Unterwelt. Stachelschwein sitzt dort und schaut mich an. Ich teile ihm sehr kurz und intensiv telepathisch – wie immer zwischen uns – mit, dass ich Hilfe brauche. Sofort dreht es sich um und düst in die Unterwelt. Ich hatte gehofft, es würde mich zur Oberwelt bringen, ich würde so gern endlich mal meinen Weisen fragen... Aber ich weiß, dass es weiß, was ich wissen will und wo ich die Antwort finde, zwischen uns läuft ja immer alles im telepathischen Kurzschluss. Also Unterwelt.

Ich laufe hinter ihm her, wir laufen sehr lange. Lange Zeit sehe ich nur Schwärze oder Strukturen, mein Stachelschwein kann ich kaum erkennen, dauernd muss ich es mir vorstellen, aber es ist da, das weiß ich.
Auf einmal sehe ich etwas: den Eingang zur Unterwelt. Ich war noch gar nicht drin? Ich sitze wieder vor dem Eingang! Ich warte. Dann fällt mir ein, dass ich mich vielleicht entspannen sollte, und ich lege mich am rechten Waldrand an der kleinen Huckelböschung ins trockene Gras.
Wieder kriege ich Bild: Ich laufe wieder hinter Stachelschwein durch den Tunnel in die Unterwelt hinunter! Er ist gelbbraun, viel heller als bisher.
Nach langer Zeit sehe ich links in der Wand so etwas wie ein größeres Loch. Wir steigen hindurch und befinden uns in einer ähnlichen Höhle wie der, in der ich Stachelschwein zum ersten Mal gefunden habe, nur viel enger und noch viel unebener. Und auch irgendwie schwärzer. Auch hier geht es durch einen Tunnel vorwärts.
Irgendwann unterwegs habe ich meine Frage artikuliert. Das war gar nicht so leicht, ich brauchte mehrere Anläufe. "Warum habe ich es so schwer?" schält sich als zentrale Frage heraus. Die kommt ganz von selbst aus mir herausgesprungen, ohne dass ich sie gedacht habe. Natürlich bekomme ich keine Antwort von Stachelschwein. Aber ich betrete ein großes Zimmer.
In diesem Zimmer sind viele Personen, das spüre ich, obgleich ich sie nicht sehe. Es wirkt sehr gemütlich, da sind ein Sofa und ein Tisch... und dann ein Fenster. Ein großes Fenster. Es ist offen. Ich versuchte hinauszuschauen, sehe aber nichts Definierbares. Mal ist mir, als sähe ich das Meer, weite Landschaften... Stachelschwein? Verlässlich wie immer, springt es durchs Fenster und ich hinterher. Mir ist, als stünden wir auf einem hohen Felsen über dem Meer.

Da beginnt es.

Ich stecke in einer undefinierbaren Dunkelheit, wie in einer kleinen Erdhöhle, und jemand zieht pausenlos große dunkelviolette Flatschen aus meinem Gehirn, einen nach dem anderen, sie ziehen Fäden, und wenn sie ab sind, werden sie weggeworfen. Mein Problem wird in endlosen, fadenziehenden, riesigen dunkelvioletten Batzen aus meinem Gehirn gezogen.

Ein breiter Wolkenrand legt sich unten über mein Gesichtsfeld. Er verdichtet sich immer mehr, ein ungeheuer angenehmes Gefühl. Lichtjahre unter mir erstreckt sich das nachtblaue Universum mit den sich wandelnden Sternbildern, wie in meinem Stirn-Chakra, doch statt des schwarzen Felsens, auf dem ich dort gestanden habe, stehe ich jetzt auf einer dicken, dichten, breiten, unbeschreiblich angenehmen Schicht weißer Wolken. Sie leuchten immer stärker und wallen von unten hervor und sind leicht und weich wie Buttercreme.

Nach kurzer Zeit kondensiert vor dem Nachthimmel etwas. Für einen Moment sieht es aus wie eine lustige fette Biene, verwandelt sich aber schnell in einen Vogel. Einen schwarzen Vogel. Noch ganz hübsch anzusehen, doch es dauert nicht lange, da verwandelt er sich in eine Fledermaus und die wiederum in eine Hexe auf dem Besen. Kondensierte Schwärze.

Szenenwechsel. Ich stehe vor einem braunen Holzhäuschen. Es sieht aus wie der Eingang zu einem Zirkuswagen an dessen Stirnseite, und ich denke sofort an das Hüttchen auf dem Hühnerbein der Baba Jaga. Eine Stiege führt hinauf zur Tür. Alles ist in Brauntönen, Erdfarben gehalten, es wirkt auf mich sehr ästhetisch und heimelig, eine Art Hippie-Ästhetik: Überall hängen bunte Fransentücher, warmes, braunes Holz, viel Stoff und Perlen und Klimbim – und doch sagt mir etwas, dass dies hier die "Höhle des Löwen" sei. Hier wohnt die schwarze Hexe – die jetzt braun ist und vor mir durch die Tür huscht, als laufe sie vor mir weg.

Ich trete ein. Es ist wirklich ein Zirkuswagen, schmal und lang, und auch innen ist alles braun. Ich stehe in einer winzigen quadratischen Küche mit lauter alten, braunen Holzmöbeln – ein Tisch, eine Bank, viele Schränke, Anrichten, ein Herd. Es riecht gut nach altem, sonnengewärmtem Holz, wie auf staubigen Dachböden im Sommer. Die Hexe ist weg, sie ist rasch durch den schwarzen Vorhang am Ende der Küche gehuscht. Ich bin allein, Stachelschwein ist draußen geblieben. Für den Bruchteil einer Sekunde weht mir die Vision einer goldenen Göttin durch die Augen, die dort hinter dem schwarzen Vorhang sitzt.
Ich stelle mich vor den Vorhang und warte.
Dass mein Problem sich mir zeigt.
Es passiert nichts.
Und da begreife ich, dass wir nicht in Anderwelten gelangen, um uns alles präsentieren zu lassen, sondern dass wir die Helden sind, die ausziehen, den Drachen zu töten.

In diesem Augenblick versammelt sich eine ungeheure Willenskraft in mir und richtet sich auf den Vorhang. Die Hexe wird sich mir niemals freiwillig zeigen. Sie ist mein Drache, ich muss mit ihr kämpfen. Plötzlich steht auch Stachelschwein neben mir – aber rechts und links – es sind zwei Stachelschweine! Zwei Stachelschweine flankieren mich und unterstützen mich mit ihrer geistigen Kraft bei meinem Kampf mit dem Drachen.
Der Kampf dauerte unendlich lange. Immer wieder sacke ich ab, immer wieder sammele ich alle Kräfte und schleudere sie gegen den Vorhang. Unablässig singe ich Beschwörungsformeln, mit denen ich das Phantom zwingen will, sein Gesicht zu zeigen, ich verschmelze mit der Stimme des Schamanen, ich bin die Stimme... Es gelingt nicht. Mehrere Male schien es, als wolle der Vorhang sich zur Seite bewegen, aber es wurde nichts. Dieses Mal ist der Feind stärker geblieben. Es ist keine Niederlage. Als ich den Kampf niederlege, ist das ein ganz organischer Vorgang, als habe ich einen Tanz zu Ende getanzt. Ich weiß, ich werde ihn wieder tanzen, so lange, bis der Vorhang sich öffnet.

Und in diesem Moment öffnet er sich. Aber da sitzt keine Person, nicht einmal ein Tier, eine Pflanze oder ein Gegenstand... Ich stehe auf dem Grund eines sehr, sehr hohen schwarzen Wasserfalls, der mich rundum umschließt. Wieder dieses ölige Wasser, und alles pechschwarz und dunkelblau. Die Hexe ist verschwunden.

Der Rückruf ertönt. Ich verlasse den Zirkuswagen, laufe zurück ins Stirn-Chakra, tauche noch einmal in die wunderbaren weißen Wolken ein und stehe auch schon wieder in der zweiten Höhle der Unterwelt. Als ich mit Stachelschwein wieder ans Tageslicht trete, drehe ich mich um, um mich von ihm zu verabschieden... und traue meinen Augen nicht: Meine Lichtung hat sich verändert! Vorn, rechts und hinten ist alles wie immer, auch ist noch alles so trocken wie je, aber die schwarze Waldwand auf der linken Seite ist verschwunden, statt dessen habe ich Ausblick auf eine hohe Felswand mit einem Wasserfall. Kein schwarzblauer, sondern eine weiße Felswand, von der kristallklares Wasser stürzt. Ich denke: "Vielleicht wird meine Lichtung nun bald Wasser bekommen und frisches Grün treiben!"
Während ich da stehe und fasziniert auf den Wasserfall blicke, wächst auf einmal ein schmaler, hoher Strauch direkt vor mir aus dem Boden. Ich sage zu Stachelschwein: "Das ist Ginster!" Wir laufen beide los und tanzen und wiegen uns unter dem Ginster, aber der verliert seine gelben Blüten und wird schwarz, verwandelt sich in dieselben schwarzen Nadeldornenzweige, die ich in meinem Nabel-Chakra in diesem unheilvollen Sumpf gesehen habe, nur viel größer, richtige Sträucher. Aber auch sie verwandeln sich schon bald wieder – in lauter Blumen auf hohen, verzweigten Stängeln. Ein riesiges Blumenmeer erstreckt sich an Stelle des vormaligen Nadelwaldes bis zur Felswand mit dem Wasserfall, und Stachelschwein und ich tanzen wie berauscht durch diesen neuen, viel schöneren Wald.

Als die Abschiedsklänge ertönen, kehren wir zurück zum Eingang. Ich verneige mich tief vor Stachelschwein und bedanke mich für alles, da sehe ich es zum ersten Mal wieder scharf und deutlich vor mir: Mein Stachelschwein hat wirklich eine lange, schwarze Schweineschnauze! Es fletscht sogar ein bisschen die Zähne.

© Angela Nowicki, 17. Oktober 2009

Working Class Hero

DDR-Literatur ist vielleicht keine so gute Idee. Die Reimann hat mir zwar schon ein gutes Feeling gegeben, aber nur fürs Schreiben. Gar kein gutes jedoch in Bezug auf die DDR, das war ganz furchtbar! Diese "erleuchteten" Arbeiter, mein Gott, die hat es doch unter Garantie nie gegeben! Ein Brigadeleiter im "Kombinat", der Modigliani überm Bett hängen hat – ja, das waren ihre idealistischen Kopfgeburten! Die DDR-Künstler kannten "den Arbeiter" offenbar schlechter als die Kapitalisten, die wissen, was der will: Brot und Spiele.

Brigitte Reimann, Die GeschwisterAm nächsten Morgen, in der Kaffeestube, fragte mich Ohm Heiners, wie mir sein Bild gefalle, und er fragte in einem Ton, der mir verriet, was er zu hören wünschte.
Ich zögerte, ich fürchtete, ihn zu verletzen. Ich empfand für ihn die Achtung, mit der wir Jungen einem alten Genossen begegnen, ich dachte: Aber er ist dreißig Jahre älter als ich, er ist empfindlich. Ich brauchte jetzt nur zu nicken, er würde sich zufriedengeben, ich hätte meine Ruhe.
Endlich sagte ich, und ich verwünschte meine Feigheit, mit der ich mich hinter den anderen verkroch: "Meine Brigade war nicht begeistert."
Heiners lachte gutmütig, er sagte: "Nichts gegen deine Brigade. Sie mögen als Schlosser ganz tüchtig sein, aber auf ihre Kunstkritik sollte man sich denn doch nicht berufen. Leute, die im Schlafzimmer ihren Elfenreigen haben und in der guten Stube das Alpenglühen, Öl auf echt Leinen..."
Er legte den Kopf zurück, und sein Kinn wölbte sich vor, und das kühle, weiße Morgenlicht überströmte sein Gesicht, das noch einen Abglanz des gutmütigen Lachens festhielt, wie ein unaufgeräumtes Zimmer, in dem ein bunter Ball liegen geblieben ist.
Auf einmal merkte ich, dass gerade dieses Lachen mich befremdete und gegen ihn aufbrachte, ich dachte: Ihr Urteil hat nicht mehr Gewicht als ein Windstoß. Er hat sich so weit von ihnen entfernt, dass er sie nicht einmal verachtet. Ich sagte: "Lukas liebt Botticelli und Raffael, und bei meinem Meister hängen vier Modiglianis überm Bett."
...
Ich sagte: "Dein Bild ist schlecht, Heiners."
Sein Gesicht veränderte sich, als habe es sich mit einer trüben Eisschicht überzogen, und ich begriff, dass ich jetzt noch, in dieser Minute, über Frieden oder Unruhe in der nächsten Zeit entscheiden konnte, und mir war übel vor Aufregung, als ich, stotternd und voll wütender Beschämung über mein Stottern, sagte: "Du hast einen hirnlosen Produktioner gemalt... Ich kenne den Mann. Er hat nichts mit deinem finsteren Roboter zu tun..."
Heiners rührte in seiner Kaffeetasse, er schwieg, und durch sein Schweigen ermuntert, fuhr ich fort: "Ich kenne manche deiner Bilder von 1930. Ich kenne manche von 1960. Du hast den Leuten andere Kleider gegeben, aber du hast ihnen nicht ihr neues Gesicht gegeben. Weißt du, dass dein Modell studiert? Der Mann wird in zwei Jahren Bergbauingenieur sein. Weißt du, dass achtzig Prozent der Leute auf unserer Baustelle einen Lehrgang besuchen oder Fernstudium machen?"
...
"Du hast die letzten Jahrzehnte einfach nicht zur Kenntnis genommen. Zum Teufel mit der Romantik der schwieligen Faust! In zwanzig Jahren sind unsere Betriebe automatisiert, die Arbeiter bedienen komplizierte Maschinen, sie werden Ingenieure sein, ihre Kinder studieren, ihre Enkel besiedeln fremde Planeten... Deine Klasse ist dir über den Kopf gewachsen... Was weißt du schon von der Basis, wenn du sie vom Auto des Parteisekretärs aus besichtigst?"

aus: Brigitte Reimann, Die Geschwister, Aufbau-Verlag Berlin, 1962

Stopp! Da fällt mir Makra ein, ein ungarischer Roman. Der allerdings ist ehrlich! Dort sind echte Arbeiter gezeichnet, ohne im Gegenzug die Künstler zu idealisieren. Ein Buch voller Sensibilität und Einfühlungsvermögen in beide Seiten und dabei brutal an der Realität.

Ákos Kertész, Das verschenkte Leben des Ferenc MakraSpäter allerdings ereignete sich etwas, was Makra Valis Wahrheit näher brachte, näher, als Valis heftige oder kluge Argumente es vermochten. Er fragte sich, wie es wohl wäre, wenn er einmal, sein fachliches Wissen nutzend, versuchen würde, einen menschlichen Kopf aus Blech zu formen. Warum auch nicht? Er hatte von Vali und Salgó bereits genug über moderne Kunst gehört, um zu wissen, welchen Plunder heutzutage die Künstler verwendeten: Schnürsenkel, Konservendosen, Bruchbänder und weiß der Teufel was noch; sie experimentierten mit allem möglichen und unmöglichen Material, doch das nächstliegende, das Blech, aus dem der Karosserieschlosser Stromlinienautos wölbte, aus dem der Kunstschlosser, angefangen von der Rose und dem Weinblatt über das Wappen bis zum stilisierten geometrischen Gebäudeschmuck, alles heraushämmerte - das Blech existierte für die Bildhauer nicht... Die Vorstellung versetzte ihn geradezu in Begeisterung, das war doch endlich einmal was, wozu auch er eine Beziehung hatte, eine bessere als zum Papier, zur Kohle, zur Farbe. Nach der Arbeit blieb er noch ein, zwei Stunden in der leeren Werkstatt; aus anderthalb Millimeter starkem Eisenblech bauchte er die Teile aus, dann passte er sie sorgfältig aneinander, damit er sie möglichst ohne Schweißstab, aus dem eigenen Material in feiner, dünner Naht ineinanderfließen lassen konnte. Doch wegen der knapp bemessenen Zeit (jemand könnte ihn dabei ertappen) arbeitete Makra überstürzt; zwischen den Blechen klafften stellenweise hässliche Lücken, und so musste er die Legierung ziemlich dick auftragen, um die Lücken zu füllen. Dabei stellte sich heraus, dass die dicke Naht auf recht originelle Weise den Charakter des Kopfes hervorhob. Makra fand Gefallen daran, und am nächsten Tag füllte er auch die anderen Nähte dick auf, doch die Hitze verzog das Blech, deformierte den Kopf, und als Makra mit der Arbeit fertig war, erkannte er ihn kaum wieder. Das verdross ihn zwar ein wenig, aber dann sagte er sich, auch kein Beinbruch, da biege ich ihn eben das nächste Mal wieder hin, und er warf den Kopf in den Werkzeugschrank hinter die Kloben und Ansatzstücke. Als ihm das Ding dann anderthalb Wochen später wieder unter die Finger kam, fiel er fast aufs Kreuz: Der Kopf war trotz seiner verzerrten Proportionen zum Leben erwacht, ja er hatte gerade durch sie einen markanten und bitteren, einen schmerzhaft verschwiegenen Ausdruck angenommen. Makra wickelte ihn in Zeitungspapier, und als eines Tages ein Pförtner Dienst tat, den er kannte (und der in ihm einen Kumpel sah, weil Makra, wenn er in irgendeiner Stampe in der Umgebung auf ihn stieß, ihm stets ein, zwei Gespritzte spendierte, und der deshalb beide Augen zudrückte, wenn Makras Tasche abends mal nicht leer war), schmuggelte er die Plastik hinaus und lief damit zu Salgó.
...
"Ja, aber was gefällt dir denn daran", drang Salgó in ihn, "was ist es, wovor du dich fürchtest, was sagt dir der Kopf, so wie er ist, versuch das mal zu formulieren!" Makra ging mit hängenden Schultern im Atelier auf und ab und schwieg; er wusste nicht, was ihn ergriffen hatte, als der Kopf wieder zum Vorschein gekommen war, so hatte er ihn sich nicht vorgestellt, er hatte ihn angeschaut, als wäre es die Arbeit eines anderen, aber er gefiel ihm so. Salgó lächelte aufmunternd und wartete, aber Makra blieb stumm, verlegen versteckte er seine großen braunen Fäuste hinter dem Rücken. Salgó hatte inzwischen den eisernen Kopf auf einen leeren Modellierblock gestellt und drehte ihn auf der Scheibe langsam und aufmerksam um die eigene Achse, damit er Makras Werk besser betrachten konnte. Die Scheibe knarrte, und in der dummen Stille, die sich plötzlich ausbreitete, schnitt dieses Knarren Makra unerträglich ins Trommelfell. Die Nachmittagssonne fiel schräg durch das schmutzige Atelierfenster, und Salgó lächelte nur immerzu, geheimnisvoll wie ein Buddha, und malträtierte in einem fort die gesprungene Drehscheibe, und als schließlich auch der letzte klare Gedanke aus Makras Hirn gewichen war und er nur noch den Wunsch hatte, die Tür wieder von außen zuzumachen (wozu, zum Teufel, musste so ein Tölpel wie er auch den Künstler spielen, wo er nicht einmal in der Lage ist, die elementarsten Fragen zu beantworten), tat Salgó endlich den Mund auf.
"Wann gefällt dir etwas?"
"Wenn es gut ist", brummte Makra.
"Und denkst du nicht darüber nach, warum etwas gut ist?" Makra gab keine Antwort. "Das brauchst du auch nicht", fuhr Salgó fort. "Das ist nicht unsere Aufgabe. Entweder es gefällt, oder es gefällt nicht, das ist alles. Und weißt du, warum du meinen Ratschlag nicht befolgt hast? Weil es die Form weicher machen, sie verfeinern würde. Aber das Eckige, Rohe, diese unruhige Linie, wie sich hier auf der linken Seite alles ineinander verschiebt, die konzentrierte Starrheit der Augen, die schiefe Nase, der heruntergerutschte Backenknochen, siehst du, hier, der das Gesicht trotzig und zugleich traurig macht, darin artikulierst du dich, das ist deine Aussage." Was das betreffe, entgegnete Makra, so habe er alles ganz anders geplant; es sei zufällig so geworden, denn das da habe die Hitze beim Schweißen verzogen, und wenn man schon von einer Aussage sprechen wolle, dann war das nicht die seine, sondern die des Schweißbrenners.

aus: Ákos Kertész, Das verschenkte Leben des Ferenc Makra, Verlag Volk und Welt, Berlin, 2. Auflage, 1976

Ákos Kertész' Buch ist zugegebenermaßen acht Jahre jünger als Brigitte Reimanns Geschwister. Bei uns fing die literarische Öffnung noch ein paar Jahre später an, da wurden die Gestalten endlich realistischer, doch selbst dann noch erklang, wie selbstverständlich, hier das Hohelied auf das System. Bei Kertész ist nicht mal das zu hören, Makra ist ein Abgesang auf das miefige Kleinbürgertum und die pseudorevolutionäre Künstlerelite gleichzeitig.

© Angela Nowicki, 26. Juni 2011

Samstag, 25. Juni 2011

Kurze Einführung ins Human Design

Das Human Design System ist im Groben eine Synthese aus Astrologie und I Ging. Diese Kombination war ein Geniestreich, der viel exaktere und hilfreichere Aussagen über die Funktionsweise und Bestimmung eines Menschen erlaubt als alle bisher bekannten Astrologien. Vor allem kann man seinem Design seine Bestimmung und viele ganz praktische Hinweise auf die für einen am besten geeignete Lebens- und Handlungsweise entnehmen.

Das "Horoskop" des HD ist ein Körpergrafik genannter energetischer Schaltplan des Menschen. Die Körpergrafik besteht aus neun verschiedenen energetischen Zentren, die vom Prinzip her den sieben indischen Chakras entsprechen. Diesen Zentren sind auf festgelegte Weise die 64 Hexagramme des chinesischen Buchs der Wandlungen (I Ging) zugeordnet, die hier als Tore bezeichnet werden. Die Zentren sind über diese Tore durch 36 Kanäle miteinander verbunden, über die der Energiefluss erfolgt. Diese Kanäle wiederum werden insgesamt vier Schaltkreisgruppen zugeordnet.

Zunächst wird anhand des Geburtsdatums eines Menschen ein Horoskop erstellt. Das ist jedoch schon nicht mehr ganz so gewöhnlich, denn um den Tierkreis herum sind ebenfalls auf festgelegte Weise die 64 Hexagramme des I Ging angeordnet. Somit steht jeder Planet hier nicht auf einem bestimmten Grad in einem bestimmten Tierkreiszeichen, sondern in einem bestimmten "Tor" auf einer bestimmten Linie. Die Hexagramme des I Ging bestehen nämlich wiederum aus jeweils sechs Linien (Yin oder Yang).

Zusätzlich zum Geburtszeitpunkt wird beim HD ein weiterer Zeitpunkt errechnet, der ca. 88 – 90 Tage vor der Geburt liegt, und auch auf diesen Moment ein Horoskop erstellt. Damit erhält man im Ergebnis nicht 13 (im HD wird, anders als in der Astrologie, die Stellung der Erde mit berücksichtigt), sondern 26 Positionen von Himmelskörpern und rechnerischen Punkten (die beiden Mondknoten sind keine Himmelskörper) für eine Person, die daraufhin in die entsprechenden Tore in der Körpergrafik übertragen werden.*)

Wenn in einem Tor einer dieser 26 Faktoren steht, bezeichnet man es als aktiviert und färbt in der Körpergrafik die Hälfte des an das Tor anschließenden Kanals ein. Die Aktivierungen des Geburtszeitpunktes werden schwarz eingefärbt, die des errechneten Zeitpunktes vor der Geburt rot. Die schwarzen Aktivierungen gehören zur bewussten Persönlichkeit, die roten zum Unbewussten, das hier in schönem Denglisch Design genannt wird.

Sind in einem Kanal beide Tore, zwischen denen er verläuft, aktiviert, so dass der ganze Kanal farbig ist, dann gilt dieser Kanal als definiert, und die beiden Zentren, die er miteinander verbindet, werden damit ebenfalls definiert und in der Körpergrafik mit einer bestimmten Farbe gefüllt. Definierte Zentren und Kanäle zeigen die genetisch definierten Ich-Anlagen, die Bereiche, in denen der Mensch immer auf die gleiche Weise agiert und reagiert, also verlässliche und unwandelbare Persönlichkeitsmerkmale.

Alles, was in der Körpergrafik weiß ist, sind undefinierte oder offene Kanäle und Zentren. Hier wirkt der genetische Imperativ, der sich von allem angezogen fühlt, was anders ist als das Selbst. Es sind Bereiche, in denen die Energie unstet und flexibel strömt und einen starken Sog ausbildet, der das Fremde, das Nichtselbst, anzieht. Beides – das Selbst und das Nichtselbst – ist notwendig und hat seinen Sinn im Leben des Menschen, wenn der richtig damit umgeht. Wer sich mit dem Nichtselbst identifiziert – und das tun nicht wenige Menschen –, lebt an seinem Selbst vorbei. Er lässt sich von seiner Umwelt und von der Gesellschaft konditionieren wie Pawlows Hund. Die wahre Aufgabe unserer undefinierten oder offenen Zentren ist es aber, in den ihnen zugeordneten Bereichen Weisheit durch losgelöstes Gewahrsein zu erlangen und damit universelle Weiterentwicklung zu ermöglichen.

Das Human Design System ist ein unerhört präzises Werkzeug zur Erkenntnis seiner selbst und anderer Menschen, ja der ganzen menschlichen Natur. Damit fördert es die Einsicht in die Vielfalt der Schöpfung, Toleranz und Verständnis für das Fremde und last but not least die Selbstverwirklichung. Wer seine Strategie lebt und seiner inneren Autorität folgt, verwirklicht sich ganz von selbst, das braucht man gar nicht bewusst anzustreben. Die eigene Strategie zu leben, bedeutet, die Entfaltungsmöglichkeiten auszuschöpfen und die Grenzen zu respektieren, die das eigene Selbst einem setzt, und die Autorität ist eine innere Instanz in jedem Menschen (meistens eines von fünf Zentren in der Körpergrafik), die dazu bestimmt ist, die für seine Entwicklung besten Entscheidungen zu treffen.

*) Das Multidimensional Human Design, eine Weiterentwicklung des ursprünglichen HD, verwendet sogar noch einen dritten Zeitpunkt ca. 88 – 90 Tage nach der Geburt.

© Angela Nowicki, 25. Juni 2011

Eindringlinge - eine Traumdeutung

Manche Träume sind ganz leicht zu deuten, wenn man sich beim Hineinschauen vorstellt, man blicke in die eigene Psyche. Auf einmal erschließt sich alles, als sähe man seinem Inneren beim Filmdreh zu.

Ich will versuchen, das an einem Beispieltraum zu verdeutlichen. Vorausschicken muss ich, dass meiner Erfahrung nach durchweg alle Träume auf der Subjektebene zu deuten sind. Auch wenn sie über äußere Tatsachen Aufschluss geben (Objektebene), sind die doch immer Ausdruck innerer Vorgänge.

***

EINDRINGLINGE

Wir wohnen in der Stadt und der Wohnung, in der ich aufgewachsen bin. Es ist Abend oder Nacht, und mein Mann sitzt rittlings auf einem Stuhl, die Lehne vor sich, vor der Wohnungstür. Im Treppenhaus hören wir das Gestammel und Gekeife einer blödsinnigen alten Frau. Ich hoffe, dass sie bald wieder verschwindet, denn ihr aggressives Geschrei macht mir Angst. Jetzt steht sie direkt vor unserer Wohnungstür, die mit halbdurchsichtigen Gardinen verhängt ist, und hämmert Einlass. Auf einmal beugt sich mein Mann vor und beginnt, mit ihr zu reden. Ich denke: "Nein! Warum macht der das? Wir wollten doch ganz still sein, damit sie denkt, es sei keiner da. Er soll die Alte wegjagen!" Doch anstatt sie wegzujagen, öffnet mein Mann die Tür sogar ein Stück! Jetzt bekomme ich richtige Angst, ich sehe sie schon hereinkommen, ich will die nicht hier haben, sie soll verschwinden!

Ich erblicke zwei Menschen im düsteren Vorsaal. Die Atmosphäre wird immer unheimlicher. Ist das mein Mann oder die Alte? Herausfordernd rufe ich: "He, wer ist da?"
"Wir sind die zwei Kumpels, die dein Mann bei seinem Studium in London kennen gelernt hat", antwortet es mir. Da geht das Licht an, und vor mir stehen ein Weißer und ein Schwarzer. Ich erkenne die Männer, mit denen hatte ich früher schon zu tun. Besonders fällt mir der Schwarze auf, er trägt eine rote Jacke. Der Weiße hinterlässt nur einen verwaschenen Eindruck, aber beide sind freundlich und mir sympathisch, obwohl ich nicht mit Gästen gerechnet habe.

Mein Mann führt sie ins Wohnzimmer, wo ich gerade mit unserer Tochter am Tisch gesessen und geschrieben oder gelernt habe. Die Wohnung ist sehr unordentlich, überall liegen Sachen herum, nur auf dem Sofa an der Wand finden die beiden einen Sitzplatz. Ich entschuldige mich, schnappe mein Schreibzeug und bringe es ins Arbeitszimmer, um Platz für die Gäste am Tisch zu schaffen. Ich kann mein Schreibzeug jetzt nicht richtig wegräumen, sehe mich unentschlossen um und schmeiße es kurzerhand auf mein Bett. Dabei überlege ich, dass ich den Gästen ja wohl auch noch ein Bett frei machen und herrichten muss.

***

DEUTUNG

Die "Stadt und Wohnung, in der aufgewachsen bin", verlegen den Ursprung des Traums in die Kindheit und Jugend, das heißt, die hier auftauchenden Erfahrungen und Ängste haben wahrscheinlich in jener Zeit ihre Wurzeln. Die Tageszeit wiederum sagt uns, dass es hier um unbewusste Inhalte geht, denn die Nacht steht für das Unbewusste, der Abend für den Übergang vom Wachbewusstsein zum Traum oder Unbewussten.

Wir blicken in ein belebtes Wohnzimmer und von dort nach draußen durch den halbdunklen Flur auf die Wohnungstür. Hinter der Tür wissen wir das finstere Treppenhaus. Das Traum-Ich, das das bewusste Ich repräsentiert, steht im Wohnzimmer. Hier ist es hell, hier ist also der Raum des Ich-Bewusstseins. Der Gegenort, das dunkle Treppenhaus, ist der Raum des Unbewussten, abgegrenzt vom Bewusstsein durch die Wohnungstür. Dazwischen liegt das Halbdunkel des Vorbewussten. Alles, was bewusst werden will, dringt aus dem Unbewussten durchs Vorbewusste ins Bewusstsein ein - Gäste und Eindringlinge dringen aus dem Treppenhaus durch die Wohnungstür und den Flur ins Wohnzimmer ein.

An der Grenze zum Unbewussten sitzt der Hüter der Schwelle. Er sitzt rittlings auf einem Stuhl gleich einem Wachposten, die Lehne vor sich wie ein Schutzschild. Tatsächlich will nun ein unbewusster Inhalt eindringen, der vom Ich als "blödsinnige Alte" identifiziert wird. Sie krakeelt und stammelt, sie wirkt äußerst primitiv, das genaue Gegenteil der kultivierten, "studierenden" Ratio. Was ist das? Das Verrückte ist immer ein Teil des Selbst, der nicht in die Persönlichkeit integriert, womöglich verdrängt und daher außer Kontrolle geraten ist. Das muss gar kein wirklich idiotischer Anteil sein, das kommt dem Ich nur so vor, weil es ihn nicht kontrollieren kann und weil dieser Anteil in seiner Ausgrenzung vernachlässigt und verwildert ist. Jetzt begehrt er aggressiv Einlass, er will bewusst werden, aber das Ich hat Angst vor ihm, es ekelt sich, es gruselt sich vor dem Unbekannten und verlangt von seinem Wächter, der solle ihn gefälligst "zurückverdrängen". Das Geschrei der Idiotin ist ein verzweifelter Versuch des Verdrängten, sich Gehör zu verschaffen.

Unerwartet verweigert der Wächter dem Ich den Gehorsam. Er wendet sich dem aufrückenden Verdrängten zu, nimmt zu ihm Beziehung auf und öffnet ihm schließlich sogar die Tür. Hier könnte man vermuten, dass im Hüter der Schwelle das integrierende Selbst am Werk ist, im Human Design System verkörpert durch den Magnetischen Monopol. Diese innere Führung erscheint im realen Leben in Gestalt von Begegnungen, Ereignissen und Zufällen.

Und jetzt geschieht etwas Unerwartetes, fast eine Art Twist: Was da aus dem Unbewussten eindringt, ist gar keine verblödete Alte, sondern sind zwei sympathische männliche Gestalten. Wo ist die Alte hin? Dazu schweigt sich der Traum aus. Es ist jedoch sicher nicht ganz abwegig anzunehmen, dass sie und die beiden Männer identisch sind, wie die meisten Nachtmahre im Tageslicht ihr Grauen verlieren. Durch ihre Aussage, sie seien Studienkollegen aus London, informieren sie das von Angst geschüttelte Ich sofort, dass sie ihm freundlich gesinnt sind. Es sind hier ganz offenbar hilfreiche Persönlichkeitsanteile bewusst geworden, die allerdings in einer Dualität auftreten.

Hinweis: Spätestens, wenn in einem Traum konkrete Orte, Namen oder Personen auftreten, greift die allgemein gültige Symbolik gar nicht mehr. Dann muss der Träumer selbst erforschen, was er mit damit assoziiert. Das trifft in diesem Traum vor allem auf "London" zu. In geringerem Maße kann das aber alle konkreten Symbole betreffen, hier z.B. die Dualität "Weißer" vs. "Schwarzer". Dieses Symbolpaar kann so viele verschiedene Inhalte und Einstellungen ausdrücken, dass man zu einer seriösen Deutung unbedingt die Information braucht, was es beim Träumer auslöst, was er dabei empfindet. Fakt ist jedenfalls: Ihm ist ein hilfreicher, aber dualer Persönlichkeitsanteil bewusst geworden, dessen "heller" Teil ihn nicht großartig zu berühren scheint, während der "dunkle" Teil ihn fasziniert. In Verbindung mit der roten Jacke könnte es sich dabei um einen abenteuerlustigen und leidenschaftlichen Teil handeln, dann wäre es eine duale emotionale Kraft, die hier aufgestiegen ist (z.B. emotionale Zurückhaltung vs. gelebte Leidenschaft), oder auch die Polarität Vernunft vs. Emotionen. Aber ich will nicht spekulieren; spätestens hier muss der Träumer selber ran.

Das Weitere ist klarer: Das Wohnzimmer ist ein individuell geprägter Innenraum, der der Geselligkeit und Kommunikation offen steht. Auch der Tisch ist in diesem Fall ein Symbol für Kommunikation, die jedoch vorläufig blockiert ist, weil der Träumer in seine eigenen geistigen Konzepte vertieft ist. Der seelische Innenraum präsentiert sich zwar behaglich, aber völlig chaotisch. Das weist auf eine innere "Arbeitssituation" hin, eine "geistige Belegung", die keinen Platz für die Auseinandersetzung mit Neuem lässt.

Der Traum legt dem Träumer nun ans Herz, er möge recht bald seine Gedanken ordnen, um sich mit notwendigen neuen Inhalten auseinandersetzen zu können. Er soll "reinen Tisch" machen. Ganz scheint das noch nicht möglich zu sein, denn zum gründlichen Aufräumen bleibt zunächst keine Zeit, das Chaos wird vorerst nur ausgelagert. Dem sei so.

***

Der Twist lässt mich allerdings nicht los. Wer Ideen dazu hat, was mit der blödsinnigen Alten passiert sein könnte, kann sie mir gern schreiben!

© Angela Nowicki, 24. Juni 2011

Freitag, 24. Juni 2011

Der Schmutzhund

Neilas Gruppe hat ein Haus gebaut, und nun sitzen alle in einem Nebenzimmer und bereiten sich auf ihre Auftritte vor. Es ist Weihnachten, und sie haben ein Unterhaltungsprogramm erstellt, bei dem jeder dem Publikum etwas vorführen soll.

Neila hat gemeinsam mit anderen ein sehr schönes Theaterstück geschrieben, in dem sie zum Schluss einen etwas längeren Monolog zu halten hat. Ihr kommt jetzt der Gedanke, dass es dem Stück doch die Wirkung nähme, wenn sie ihre Texte ablesen würden. Da das Programm gerade erst anfängt, hat sie noch genug Zeit, ihren Monolog auswendig zu lernen. Sie beginnt mit dem ersten Satz, der aus zwei fremden Worten besteht:
"Onogom nangam!"
Der Satz geht ihr leicht ein, dennoch wiederholt sie ihn wieder und wieder, weil sie sich aus unerfindlichen Gründen einfach nicht auf den Text konzentrieren kann. Plötzlich heißt es, ihre Gruppe sei dran.
"Wieso jetzt schon?" jammert Neila. Es hilft nichts, nun wird sie wohl doch ablesen müssen.

Nach der Aufführung ist die Abnahmekommission für das Haus angekommen. Neila wartet mit ein paar anderen im Hinterraum. Nach einiger Zeit kommen die, die bei der Abnahme dabei waren, und berichten, es sei so weit ok, nur die Sauberkeit habe die Kommission beanstandet und dafür Auflagen gemacht. Neila erscheint dieser Vorwurf abstrus. Sie empört sich: "Was möchten die denn gern sehen? Alles in Reih und Glied und ja nicht anrühren?"
Ihr Gegenüber missversteht sie offensichtlich, denn er meint, nun ja, sauber müsse es schon sein.
Neila fährt auf: "Aber bei uns ist es doch absolut sauber, ich verstehe überhaupt nicht, woher die eine solche Behauptung nehmen! Ich meine, ich bin ein sehr sauberer Mensch. Klar, pingelig bin ich auch nicht gerade, aber das ist für mich ok..."
Der andere meint, sie hätten schon eine Lösung gefunden.

Neila geht mit den anderen nach draußen. Dort zieht sich eine Wiese an einer großen Böschung entlang. Die Wiese wurde vollständig abgemäht und wieder vollständig neu ausgesät - das ist die Bedingung für das Gelingen. In die Mitte haben sie einen Baum gepflanzt - das ist die Wiedererkennungsmarke. Das frisch keimende Gras steht komplett unter Wasser, wie ein Reisfeld.

Und nun kommt der "Schmutzhund". Der läuft über dieses "Reisfeld" und setzt überall, wo ein Dreckhäufchen liegt, seinen Haufen drauf. Damit markiert er alle Verunreinigungen. Das sieht man natürlich dann erst im Frühling, wenn das Wasser weggetaut ist, und dann lässt sich nachweisen, dass der Dreck nicht von Neilas Gruppe stammt.

Neila fällt ein, dass sie so eine "Dreckmarkier-Wiese" erst vor Kurzem im Fernsehen gesehen hat. Das war in der Schweiz, es ist ein Schweizer Patent.

© Angela Nowicki, 6. März 2010

Donnerstag, 23. Juni 2011

A day in the life

I read the news today, oh boy...

Fahrt nach Tschechien. Auf der Rückfahrt werden wir an der ehemaligen Grenze rausgewinkt: Zollkontrolle. Wojtek auf 180. Der ältere Typ mit Schnauzbart bluffelt irgendwas in Wojteks Gesicht, was ich nicht richtig verstehe: Da drüben könnse nicht halten... LKW Tür aufmacht... blabla... bla... Er will die Ausweise sehen.
"Da muss ich aussteigen", nuschelt Wojtek.
"Wie bitte?"
"ICH MUSS AUSSTEIGEN!" brüllt Wojtek.
Kofferraumdurchsicht. "Ham Sie irgendwelche Einkäufe mit sich, Zigaretten, Alkohol...?" Wojtek soll eine Stange unserer gekauften Zigaretten aufreißen.

Es klopft neben meinem rechten Ohr. Ich öffne die Tür, der Typ will rein: "Erschreckense nich..."
Ich soll das Handschuhfach öffnen. Schließen. Meine Handtasche öffnen. Er fummelt an meiner schwarzen Plastiktüte rum, in der meine Wasserflasche steckt. Meine erste Reaktion ist, ihm dabei zu helfen, aber das lasse ich sofort. Soller doch selber fummeln, ich hab ihn nicht darum gebeten.

Beim Losfahren wundere ich mich: Was sollte das denn? Wojtek erzählt von den afrikanisch-kleinasiatischen Flüchtlingen auf Lanzarote – nein! Flüchtlinge im Handschuhfach?! Sorry, ich hab nen Flüchtling in meiner Handtasche, helfen Sie mir doch mal beim Auspacken...
Drogen? Dafür sind die an den innereuropäischen Grenzen doch eigentlich gar nicht mehr zuständig...

Wir halten unterwegs im Wald an und machten einen "Waldspaziergang": 300 m hin zur Bundesstraße, 300 m zurück zum Auto. Wie Hunde zum Pinkeln ausführen.
Wojtek regt sich wieder auf. Seit Ostzeiten hat er einen Hass auf diese Spürhunde. Was hat James Berardinelli über Frequency geschrieben? Der Film beleidige seine Intelligenz. Die Grenzer beleidigen Wojteks Sinn für Gerechtigkeit und Anstand.

In Gornau an der Bushaltestelle stehen ein paar Schulkinder. Ein Junge streckt seinen Hintern zur Straße hin, sein Freund daneben hat den Zeigefinger wie einen roten Pfeil senkrecht auf den Hintern gerichtet und freut sich einen Ast.

Zu Hause fallen meine Zigaretten auseinander.

© Angela Nowicki, 2. Mai 2011

Die Oberwelt und eine Entführung in die Anden

Ich laufe auf halber Höhe auf einem hohen, steilen Berg aus graublauem Felsgestein entlang, auf einem extrem schmalen Pfad, der quer über den Felsabhang verläuft, wie aus dem Fels gehauen, ins Unendliche. Rechts oben auf dem Kamm, ein Stück hinter mir, eine verwischte Gestalt, die ein Stachelschwein sein könnte oder auch nicht.

Ich gelange auf eine reichlich dürre Lichtung. Rechts vom Fels zieht sich Fichtenwald dahin, links der Abgrund, davor ein paar Büsche. Mitten auf der Lichtung mein Stachelschwein. Plötzlich wird es in den Himmel erhoben, schaut zu mir herunter. Dann sinkt es wieder herab, und dann werde ich in den Himmel erhoben, schaue auf das Stachelschwein hinunter und werde ohne Umschweife direkt vor den Eingang zur Unterwelt gebeamt.

***

Nachdem ich mein Stachelschwein gebeten habe, mich in die Oberwelt zu begleiten, fliegt es sofort mit mir auf dem Rücken los. Ganz tief rechts unter uns zieht sich ein gelblich grüner, tibetischer Hochgebirgszug dahin, an dem links eine schmale, staubige Straße entlang verläuft und links von der Straße wiederum ein Fluss. Links von uns bohren sich riesige nackte Felsnadeln in eine dichte, membranartige, cremeweiße Wolkendecke. Wir fliegen auf eine der Felsnadeln zu, die mehrere Absätze hat, wie Gabeln. Auf einem dieser Absätze setzt mein Stachelschwein mich ab und klettert nach unten.

Ich dringe durch die Wolkenmembran in die Oberwelt ein. Lange laufe ich auf weißen Wolken dahin auf der Suche nach meinem Lehrer oder Weisen. Ich sehe einen klaren See, und dann rechts hinten eine schmale, hohe, silbern glitzernde gotische Kathedrale. Ist das mein Weiser? Ich laufe auf sie zu und trete ein in den weihevoll stillen Kirchenraum. In der Mitte erblicke ich einen Springbrunnen, dessen Fontäne eine riesige metallene Schale trägt.

Eine Weile stehe ich und warte, doch da nichts geschieht, schreie ich schließlich inbrünstig die Frage aus mir heraus, die mich am stärksten bewegt: "Was ist meine Berufung?"

Niemand antwortet, aber ich setze mich in die Schale und werde, wie in einem Fahrstuhl, von der Fontäne nach oben geschossen. In rasender Fahrt geht es durch den ganzen unendlich hohen Kirchturm und durch die Dachspitze nach draußen. Dort sehe ich die Welt von oben: den Ozean im Hintergrund und die Festlandmassen mit Städten, Wiesen und Wäldern davor. Es tauchen Bilder vor meinen Augen auf; eines davon ist eine alte, offenbar pflegebedürftige Frau im Bett.

Dann geht es in der Schale zurück nach unten. Ich bedanke mich ins Leere hinein, verlasse die Kathedrale, steige durch die Wolkendecke in die Welt zurück und werde auf dem untersten Absatz der Felsnadel bereits von meinem Stachelschwein erwartet.

***

Wir sollen nochmals in die Oberwelt gehen, um zu erfahren, wie wir am besten heilen können, doch auf einmal finde ich mich auf einem Bergweg in den Anden wieder. Im Gegensatz zum gelbgrünen Tibet sind die Anden blaugrün und sehr farbstark, ich erkenne sie sofort. Links neben mir geht es steil ins Tal hinunter, und dahinter erhebt sich ein zweiter Hochgebirgszug. Die Luft ist feucht und klar, alles hat ganz scharfe Umrisse. Ich komme an kleinen Flecken vorbei, auf denen Inkas stehen und sitzen, manche an einem Marktstand, wo sie ihre Stoffe verkaufen. Eine lange Defilade Inkas rechts von mir.

Da ich mit dieser Szenerie nichts Rechtes anzufangen weiß, will ich zurück zu meiner Kathedrale. Ich gelange wieder in die Oberwelt und sehe die Kathedrale später auch, doch ich komme nicht hin, denn die Trommel wird so aufdringlich, dass ich nur noch Trommel im Kopf habe und schließlich gegen meinen Willen stampfend zu tanzen anfange.

Als die Reise vorbei ist, stellt sich heraus, dass eine Frau aus unserer Gruppe, die aus Südamerika stammt, versehentlich in ein vergangenes Leben in der Inka-Zeit abgeglitten war. Ihr Geliebter, den man ermordet hatte, war ihr in einer Lichtgestalt erschienen, um sich von ihr zu verabschieden, und zum Schluss hatten die Inkas getanzt. Wie sich herausstellte, war außer mir noch eine weitere Frau aus der Gruppe gegen ihren Willen bei Indianern gelandet, die getanzt hatten!

An diese Reise denke ich nach zwei Jahren immer noch mit ehrfürchtigem Schauder zurück. Sie zeigt, was für eine starke, magnetische Gruppenenergie bei diesen Reisen entstehen kann. Wenn der Führer dieser Gruppenreisen keine gefestigte Verbindung zur geistigen Welt hat, mit der er in der Lage ist, die Gruppe energetisch zusammenzuhalten, kann das durchaus in einem bösen Trip enden. Unsere Leiterin hatte alles unter Kontrolle.

© Angela Nowicki, 12. Juni 2009

Mittwoch, 22. Juni 2011

Das Stachelschwein

Bei der Suche nach dem Krafttier hatte ich mich sehr gewundert, dass mir ein Stachelschwein erschien. Ich hatte mich gefragt, ob das überhaupt ein Krafttier sei.

Erst hinterher suchte ich im Net zum ersten Mal nach Informationen über Krafttiere und siehe da - das Stachelschwein ist da durchaus bekannt. Es heißt, es komme immer das Krafttier, das die Energie verkörpert, die man zurzeit am meisten braucht. Das Stachelschwein, so las ich, zeichnet sich durch Gutmütigkeit, Verspieltheit und Neugier aus. Es hilft uns, das Leben nicht so ernst zu nehmen, sondern unser inneres Kind hervorzubringen.

Ich staunte nicht schlecht. Genau das war es, was mir in den vergangenen Jahren abhanden gekommen war. Es ist die Energie von Mercurius, des Gauklers und Vagabunden. Diese Energie hatte ich immer in mir getragen, sie ist ein Teil von mir. Sie half mir in meiner Jugend in der DDR beim Umgang mit staatlichen Behörden und Polizei, sie begleitete mich auf meinen Hippie-Tramps. Und als es vor einigen Jahren lange Zeit ganz schlimmen Stress mit der ARGE gab, erinnerte ich mich kurz vor dem Nervenzusammenbruch wieder an meinen Mercurius. Er begleitet mich seitdem auf alle Ämter (falls ich an ihn denke) und entschärft mit seinem Witz und seiner Unbeschwertheit die größten Probleme schon im Voraus. Ja, das Stachelschwein ist weiß Gott mein Krafttier.

Nun verstand ich auch, warum mein Stachelschwein partout nicht mit mir reden wollte, so wie die Krafttiere aller anderen. Manche führen richtig hochgelehrte Diskussionen mit ihren Krafttieren - meins wollte mir nicht mal seinen Namen sagen. Es reagierte überhaupt nicht auf meine verbalen Kontaktversuche, dafür stupste es mich ständig in lauter verrückte Spielereien hinein: Es wollte mir mir tanzen, fliegen, schwimmen und präsentierte mir sogar eine ziemlich psychedelische Lightshow.

Und noch etwas fand ich im Nachhinein erstaunlich: Stachelschweine ertragen keine Kälte und keinen Schnee. Nun weiß ich, weshalb ich bei den ersten Reisen dauernd aus meiner Winterlandschaft rausgeschmissen wurde. Ich wollte Schnee meterhoch, doch am Ende landete ich immer im Grünen.

© Angela Nowicki, 22. Juni 2011

Dienstag, 21. Juni 2011

Warten auf England nach der Vollendung

Ich will nach England ziehen. Das ist mein Traum. Eigentlich spricht alles dagegen: die Finanzen, die 86-jährige, alleinstehende Tante, der angesammelte Müll von 30 Jahren... Aber wenn es sein soll, wird es sein. Klausbernd Vollmar hat so eine (oder so eine ähnliche) herrliche Begründung gegeben: "Wer in Deutschland alt wird, wird bieder. Wer in England alt wird, wird exzentrisch. Ich mag nicht bieder werden."

Nun habe ich die Erfahrung gemacht, dass mein Schicksal immer sofort präzise reagiert. Im Multidimensional Human Design bin ich ein Manifestierender Generator. Eigentlich heißt es da, diese Typen müssten erst reagieren und dann agieren, aber ich habe für mich festgestellt, dass der erste Schritt sehr wohl von mir ausgehen muss (manifestierend), worauf ich eine Reaktion bekomme, die mir zeigt, ob ich mit dieser Aktion zu dieser Zeit richtig liege, und darauf muss oder kann ich dann entsprechend reagieren.

Vorigen Freitag habe ich die Initiative ergriffen und nach Miethäusern in England gesucht. Sofort fand ich eine wunderbare Seite mit massenhaft Angeboten und sogar ganz vielen, die ich bezahlen könnte. "Ja!" sprach das Schicksal offensichtlich. Und nun ist das Dilemma da, die Hindernisse haben sich noch nicht in Wohlgefallen aufgelöst. Mein nächstes Klärungsprojekt heißt also: "Umzug nach England in diesem Jahr?"

Mein erster Schritt war gestern das I Ging. Klare Fragestellung und: "Was rätst du mir?" Ich habe noch nie eine so klare Antwort von meinem geliebten Orakel erhalten:

  63 - Nach der Vollendung
                     wandelt sich auf Linie 2 in
                                                      5 - Das Warten


Nach der Vollendung bezeichnet einen Höhepunkt, eine Situation, die sich nicht mehr verbessern kann. Versuchte man, jetzt noch einen draufzusetzen, käme es zum Kollaps. Es ist ein fragiles Gleichgewicht, ein vollendeter Streichholzturm, ein fertiges Bild - Hände weg! Jetzt noch eine Bewegung, noch ein Pinselstrich, und alles war für die Katz. Man muss wissen, wann man aufhören muss.

Linie 2 zeichnet eine Frau, die ihren Wagenvorhang verliert. "Lauf ihm nicht nach! Am siebenten Tag bekommst du ihn." Der Wagenvorhang gleicht der vereitelten Absicht. Sie ist aber mitnichten vereitelt, sondern verzögert sich nur. Es wird die Zeit kommen, sogar bald, da das Vorhaben durchführbar sein wird. Linie 63.2 sagt: "Du kannst jetzt nichts tun, doch gedulde dich und warte auf die rechte Zeit."

Folgerichtiger könnte sich das Ganze nicht wandeln: Hexagramm 5 - Das Warten! Das Warten ist hier kein Nichtstun, sondern erfordert die aktive Vorbereitung bei gleichzeitiger Gelassenheit, bis die Zeit reif ist. Wer das Warten aktiv nutzt, wird dann bereit sein für die Wandlung. Wer sich zurücklehnt, wird den Zug verpassen.

Fazit: Dieses Jahr wird mich Chemnitz noch nicht los (et vice versa). Aber ich sollte fleißig weiter Häuser suchen, die Wohnung entmüllen... By the way: Wäre es nicht ein Idealzustand, nur so viel zu besitzen, wie in einen Rucksack passt?

© Angela Nowicki, 21. Juni 2011

Montag, 20. Juni 2011

Die Suche nach dem Krafttier

Dies sind die ersten Bilder aus meiner Einführung ins Seelenreisen:

I - Auf der Schmücke

Ich stehe in Thüringen auf der Schmücke vor dem Ferienheim unseres Studenten-Skilagers, in dem ich als Kind jedes Jahr zwei herrliche Winterwochen mit meinem Vater verbrachte. Es liegen bestimmt drei Meter Schnee, alles ist zugepudert. Eigentlich zieht es mich ins Haus, aber dort will ich nicht hin. Ich will in den "Märchenwald", der ein ganzes Stück hinter dem Haus liegt. Ich laufe herum und sehe auch ein paar "Märchenbäume", die zugeschneiten, doch dann bin ich definitiv auf dem Weg zum Mordfleck, der "Wellenschaukel". Natürlich bin ich auf Ski, und ich versuche, das Wellenfahren so zu genießen wie in der Realität, aber es gelingt mir nur vage, und auch den Weg und den Wald zu beiden Seiten sehe ich nur vage, nur eine allgemeine Vorstellung von der Schmücke eben.

Auf einmal, obwohl ich das nicht wollte, öffnet sich links neben mir der Mordfleck. Ich hatte überhaupt keine Absicht, Abfahrten zu machen, aber jetzt, da er sich so aufdrängt – nun, dann fahre ich halt hinunter. Meine Ski sind ja auch keine ausgesprochenen Langläufer, es sind eigentlich meine späten Kinderski, die dunkelroten, wahrscheinlich die mit der gelben Laufsohle. Die eignen sich sowohl zum Laufen als auch zum Abfahren.

Unten angekommen, drehe ich mich um und weiß nicht mehr weiter. Was soll ich jetzt noch machen? Soll ich mit dem Lift wieder rauf fahren? Sofort sehe ich auch vage die Leine mit den Holzstäben vor mir. Dazu habe ich keine Lust. Ich drehe mich wieder um und gehe einfach in den Wald hinein – und auf einmal ist der Schnee weg, meine Ski auch, ich stehe in einem grünen Fichtenwald.

II - Schnee schmecken

Wieder bin ich auf der Schmücke im tiefsten Schnee. Dieses Mal aber weit weg vom Heim, mitten im Wald an einer Weggabelung. Der Weg nach rechts steigt schön wellig leicht bergan, dort lichtet sich zur Linken der Wald und gibt eine größere Lichtung frei. Es ist der Weg, auf dem wir einmal beim Langlaufwettkampf entlang gefahren sind, ich glaube, es war der Endspurt. Der andere Abzweig führt leicht nach links vorwärts, mitten durch dichten Wald. An dieses Stück erinnere ich mich von unserer Skiwanderung mit Frau K. her. Es war die Stelle, an der wir feststellten, dass wir uns verlaufen haben. Natürlich bin ich wieder auf Ski unterwegs.

Die Sonne scheint, in meiner Vorstellung spüre ich ihre Wärme auf der Haut und die frische Luft im Gesicht. Ich erinnere mich, wie wir bei solch sonnigem Winterwetter im Bikini in den Liegestühlen saßen, es gelingt mir allerdings nicht, die Wärme so deutlich zu spüren. Aber den Schnee, den kann ich fühlen! Kalt und feucht und pulverig – jetzt fehlt mir nur noch der typische Geruch nasser Wollhandschuhe, des Leders der Skistifel, der gewachsten Ski, dann wäre ich wirklich dort. Vorstellen kann ich mir den Geruch ganz deutlich, rieche ihn jedoch ebenso wenig "wirklich", wie ich die Landschaft sehe, alles passiert nur in meiner Vorstellung. Dennoch verschwindet die nicht gleich wieder, ich bleibe dort, solange ich will.

Ich wirbele den frischen Schnee hoch in die Luft, ich jauchze innerlich und tolle herum, wie ich es wohl nicht einmal als Kind getan habe. Ich spüre die scharfen Flocken im Gesicht. Ich lecke ein Bröckchen Schnee vom Handschuh, schmecke es, ich weiß, wie Schnee schmeckt, der Eindruck ist fast real. Ich knete den Schnee, schnuppere an ihm und werfe mich rücklings hinein, um einen "Engel" zu machen. Es ist herrlich! Ich genieße dieses Erleben so, dass ich gar nicht mehr weg will und fast die Zeit vergesse. Ich knete einen großen Schneeball zusammen und werfe ihn nach rechts.

Dann stehe ich plötzlich ein Stück tiefer im Wald auf dem linken Weg neben meinen Ski. Ganz deutlich sehe ich die Bindung des linken und hier und da festgepappten, grauen Schnee drin. Ich klaube ihn heraus, und das sehe und spüre ich jetzt wirklich ganz real: die Bindung, die grau glänzenden Schneebröckchen auf meinem Fäustling, wie sie sich anfühlen, nass und etwas hart, und wie sie riechen: scharf und etwas schlammig, nach Winterluft und Schweiß.

III - Das Stachelschwein

Eigentlich wollte ich wieder zur Schmücke, an die Weggabelung aus der vorherigen Reise. Aber urplötzlich sitze ich rittlings auf einem hohen Berggrat, der sich endlos vor mir in die Ferne zackt und in den Horizont verliert. Links von mir ragt in einiger Entfernung ein ebenso hoher Bergrücken auf, und rechts? Irgendwie ist da nichts – Bildrand. Ich habe den Eindruck, dass es dort entlang zur Schmücke geht, von dort muss ich wohl hergekommen sein.

Nachdem ich eine Weile einfach gesessen und geschaut habe, rutsche ich auf einmal sanft, aber unaufhaltsam rücklings nach unten. Ich drehe mich um und befinde mich auf einer großen Waldlichtung, die von dunklem Fichtenwald umgeben ist. Nichtwinter, alles grün, aber trocken kommt es mir vor, recht vertrocknet alles. Langsam gehe ich los, auf die Mitte der Lichtung zu, Ausschau haltend nach dem Eingang zur Unterwelt. Und mitten auf der Lichtung taucht er auf: der Eingang zu einem grasüberwachsenen Bunker, breit, nicht sehr hoch, ein flaches halbes Oval, schwarz der Eingang. Ich erinnere mich, dass wir möglichst alles genau betrachten sollen, also bleibe ich direkt am Eingang stehen und versuche zu erkennen, woraus die Decke unter der Grasnarbe besteht. Ich sehe nichts. Ok, denke ich, dann fass sie doch einfach an. Und in der Tat: Als ich sie abtaste, erkenne ich unzweifelhaft eine dünne Schieferschicht unter der Grasnarbe. Ich bücke mich, halte mich an der Decke fest, um hineinzuschlüpfen – und gerade da hört die Schamanin auf zu rasseln und gibt uns nochmals Anweisungen für die Reise. Solange sie spricht, kann ich mich nicht bewegen. Ich stecke etwas ungeduldig im Eingang fest und warte auf die Trommel.

Sie erlöst mich aus meiner Versteinerung, und ich trete ein. Wieder versuche ich, auf alles zu achten, und bemerke, dass die Wände schwarz und wie mit schwarzem Fliegengitter ausgekleidet sind. Es geht lange Zeit mal mehr, mal weniger einen langen Tunnel abwärts, wie im Schaubergwerk, und in der Tiefe hat der Tunnel einen rötlichen Schimmer. Dann wird der Weg wieder eben, und kurz, bevor er nach rechts abbiegt, sehe ich einen scharfen, dünnen, schwarzen Streifen vor mir in der linken Wand, die rötlichbraun unterlegt ist, wie ein schmaler, senkrechter Riss. Ich warte einen Moment, bis ich sicher bin, dass der Riss real ist, dann trete ich näher und versuche, ihn auseinanderzuziehen, indem ich meine Finger hineinhake. Er öffnet sich ganz leicht, mühelos bröckelt die Wand in großen, dünnen Schieferplatten auseinander, wie sprödes Glas, und es entsteht schnell ein großer Durchgang.

Ich steige hindurch und befinde mich in einer weiten Höhle, die in dieselbe Richtung verläuft wie der Tunnel. Hier ist es viel heller; Boden, Wände und Decken bestehen aus etwas, was wie ockerfarbener trockener Lehm aussieht. Alles ist sehr uneben, von dicken Rippen durchsetzt, und diese Rippen, die quer und ungleichmäßig über den Boden verlaufen, sind von tropfsteinähnlichen Dornen besetzt. Nach und nach wird alles immer plastischer. Ich laufe vorwärts und halte, wie schon im Tunnel, Ausschau nach meinem Krafttier. Auf einmal wird es dunkel um mich, und am oberen Rand der Schwärze bildet sich langsam ein nach oben geöffnetes Fächermuster heraus.

"Antimon", denke ich und dann: "Stachelschwein."

"Wieso Stachelschwein?" denke ich. "Das ist doch kein Krafttier... oder?"

Da steht es. Das Stachelschwein. Groß und unübersehbar. Mit einem Fächer langer, glatter, weißer Stacheln, die in der Mitte ein Muster aus roten und blauen Ringen tragen, wie der Federschmuck eines Indianerhäuptlings.

"Das kann nur mir passieren!" denke ich. "Wie komme ich denn auf ein Stachelschwein?"

Da steht es und schaut mich an, und ich gluckse innerlich vor Lachen, weil ich mir schon vorstelle, wie die anderen reagieren werden, wenn ich mein Krafttier nenne.

Schon sitze ich auf dem Stachelschwein, und es fliegt mit mir durch die Luft, immer tiefer in die Höhle hinein, über nächtliche Flüsse – "wie Krishna auf dem Marder", denke ich. Als wir landen, läuft es um mich herum, dreht und wendet sich, lässt sich von der linken Seite und von hinten anschauen. Ich berühre das imposante Büschel seiner Stacheln von hinten, an den Spitzen, und es fühlt sich schön an, wie eine Massagebürste.

Da ertönt der Rückruf der Trommel. Ich bin traurig, ich will noch nicht weg. Doch in der Höhle stecken bleiben will ich auch nicht, also verabschiede ich mich vom Stachelschwein und gehe zurück Richtung Ausgang. Nach ein paar Metern drehe ich mich um: Da sitzt mein Stachelschwein und schaut mich mit Augen an, die zu rufen scheinen: "Komm wieder!" Ich winke ihm herzlich zu, steige durch die Öffnung zurück in den Tunnel, krieche durch den Ausgang ins Freie und setze mich auf einer kleinen Böschung am Rand der Lichtung ins Gras.

© Angela Nowicki, 12. Juni 2009