Donnerstag, 23. Juni 2011

Die Oberwelt und eine Entführung in die Anden

Ich laufe auf halber Höhe auf einem hohen, steilen Berg aus graublauem Felsgestein entlang, auf einem extrem schmalen Pfad, der quer über den Felsabhang verläuft, wie aus dem Fels gehauen, ins Unendliche. Rechts oben auf dem Kamm, ein Stück hinter mir, eine verwischte Gestalt, die ein Stachelschwein sein könnte oder auch nicht.

Ich gelange auf eine reichlich dürre Lichtung. Rechts vom Fels zieht sich Fichtenwald dahin, links der Abgrund, davor ein paar Büsche. Mitten auf der Lichtung mein Stachelschwein. Plötzlich wird es in den Himmel erhoben, schaut zu mir herunter. Dann sinkt es wieder herab, und dann werde ich in den Himmel erhoben, schaue auf das Stachelschwein hinunter und werde ohne Umschweife direkt vor den Eingang zur Unterwelt gebeamt.

***

Nachdem ich mein Stachelschwein gebeten habe, mich in die Oberwelt zu begleiten, fliegt es sofort mit mir auf dem Rücken los. Ganz tief rechts unter uns zieht sich ein gelblich grüner, tibetischer Hochgebirgszug dahin, an dem links eine schmale, staubige Straße entlang verläuft und links von der Straße wiederum ein Fluss. Links von uns bohren sich riesige nackte Felsnadeln in eine dichte, membranartige, cremeweiße Wolkendecke. Wir fliegen auf eine der Felsnadeln zu, die mehrere Absätze hat, wie Gabeln. Auf einem dieser Absätze setzt mein Stachelschwein mich ab und klettert nach unten.

Ich dringe durch die Wolkenmembran in die Oberwelt ein. Lange laufe ich auf weißen Wolken dahin auf der Suche nach meinem Lehrer oder Weisen. Ich sehe einen klaren See, und dann rechts hinten eine schmale, hohe, silbern glitzernde gotische Kathedrale. Ist das mein Weiser? Ich laufe auf sie zu und trete ein in den weihevoll stillen Kirchenraum. In der Mitte erblicke ich einen Springbrunnen, dessen Fontäne eine riesige metallene Schale trägt.

Eine Weile stehe ich und warte, doch da nichts geschieht, schreie ich schließlich inbrünstig die Frage aus mir heraus, die mich am stärksten bewegt: "Was ist meine Berufung?"

Niemand antwortet, aber ich setze mich in die Schale und werde, wie in einem Fahrstuhl, von der Fontäne nach oben geschossen. In rasender Fahrt geht es durch den ganzen unendlich hohen Kirchturm und durch die Dachspitze nach draußen. Dort sehe ich die Welt von oben: den Ozean im Hintergrund und die Festlandmassen mit Städten, Wiesen und Wäldern davor. Es tauchen Bilder vor meinen Augen auf; eines davon ist eine alte, offenbar pflegebedürftige Frau im Bett.

Dann geht es in der Schale zurück nach unten. Ich bedanke mich ins Leere hinein, verlasse die Kathedrale, steige durch die Wolkendecke in die Welt zurück und werde auf dem untersten Absatz der Felsnadel bereits von meinem Stachelschwein erwartet.

***

Wir sollen nochmals in die Oberwelt gehen, um zu erfahren, wie wir am besten heilen können, doch auf einmal finde ich mich auf einem Bergweg in den Anden wieder. Im Gegensatz zum gelbgrünen Tibet sind die Anden blaugrün und sehr farbstark, ich erkenne sie sofort. Links neben mir geht es steil ins Tal hinunter, und dahinter erhebt sich ein zweiter Hochgebirgszug. Die Luft ist feucht und klar, alles hat ganz scharfe Umrisse. Ich komme an kleinen Flecken vorbei, auf denen Inkas stehen und sitzen, manche an einem Marktstand, wo sie ihre Stoffe verkaufen. Eine lange Defilade Inkas rechts von mir.

Da ich mit dieser Szenerie nichts Rechtes anzufangen weiß, will ich zurück zu meiner Kathedrale. Ich gelange wieder in die Oberwelt und sehe die Kathedrale später auch, doch ich komme nicht hin, denn die Trommel wird so aufdringlich, dass ich nur noch Trommel im Kopf habe und schließlich gegen meinen Willen stampfend zu tanzen anfange.

Als die Reise vorbei ist, stellt sich heraus, dass eine Frau aus unserer Gruppe, die aus Südamerika stammt, versehentlich in ein vergangenes Leben in der Inka-Zeit abgeglitten war. Ihr Geliebter, den man ermordet hatte, war ihr in einer Lichtgestalt erschienen, um sich von ihr zu verabschieden, und zum Schluss hatten die Inkas getanzt. Wie sich herausstellte, war außer mir noch eine weitere Frau aus der Gruppe gegen ihren Willen bei Indianern gelandet, die getanzt hatten!

An diese Reise denke ich nach zwei Jahren immer noch mit ehrfürchtigem Schauder zurück. Sie zeigt, was für eine starke, magnetische Gruppenenergie bei diesen Reisen entstehen kann. Wenn der Führer dieser Gruppenreisen keine gefestigte Verbindung zur geistigen Welt hat, mit der er in der Lage ist, die Gruppe energetisch zusammenzuhalten, kann das durchaus in einem bösen Trip enden. Unsere Leiterin hatte alles unter Kontrolle.

© Angela Nowicki, 12. Juni 2009

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