Montag, 25. Juli 2011

Einen Eingang gibt es überall

Einige Tage vor meinem Termin bei der ARGE, noch bevor ich meinen Wunsch formulierte, ging ich auf eine Seelenreise, um mir Klarheit darüber zu verschaffen, was diese Einladung für mich bedeutet.

Ich stecke bereits im Gang zur Unterwelt, als mein Stachelschwein erscheint. Es tanzt und hat heute Perlen mitten auf seinen Stacheln. Ich begrüße es und bitte, mein Anliegen äußern zu dürfen. Jetzt verkriecht es sich hinter einer Wand oder einer Platte, hält sich mit den Pfötchen am Rand fest und lugt mit seinem langen, schwarzen Schnäuzchen ganz herzergreifend darüber hinweg, dass ich lachen muss und es am liebsten knuddeln würde. Ich bitte um Auskunft, welches Verhalten gegenüber der gestrigen Einladung der ARGE meiner Entwicklung am förderlichsten ist. Das Stachelschwein dreht sich noch ein paarmal und düst dann vor mir durch den Gang nach unten.
Nach einer Weile bleibt es plötzlich stehen und wendet sich nach links. Dort erkenne ich nach langer Zeit wieder den schmalen Spalt in der Wand, der in die Tropfsteinhöhle führt. Ich versuche, ihn zu vergrößern. Heute bröckelt er nicht, sondern lässt sich, wenn auch mit Anstrengung, auseinanderziehen, bis er groß genug ist, dass das Stachelschwein hindurchschlüpfen kann.

Ich schlüpfe hinterher und wandere in seinem Schlepptau durch die Tropfsteinhöhle, die ich nach einer kurzen Weile tatsächlich ganz deutlich in ihrer Struktur erkennen kann. Auf einmal plumpst das Schweinchen vor meinen Augen in ein Wasser, ich sehe deutlich die Ringe. Es taucht auf und unter und fordert mich auf, es ihm nachzutun. Doch ich kann kein Wasser sehen, wenn es sich nicht darin bewegt. Ich überlege, ob das der schwarze Teich ist, in den ich früher schon einmal getaucht bin, doch als ich das angebliche Wasser fixiere, scheint es sich nur um eine bessere Pfütze zu handeln, allerdings mit ganz klarem Wasser.
Wir sausen weiter durch einen langen, dunklen Gang, jenen, der sich am Ende nach rechts und links gabelt. Ich erinnere mich, dass es links zur Sandkuhle hinaus geht. In der Tat landen wir schnell an der Gabelung, doch heute entdecke ich Stachelchen im rechten Gang, also folge ich ihm dorthin. Es bleibt stehen, und ich sehe direkt vor ihm auf dem Boden eine Art dunkles, gestacheltes Dreieck, wie der Schatten eines Fächers. Ich erfahre jedoch nicht, was das ist, denn schon taucht links ein Haus auf. Es ist, als habe sich der Gang plötzlich in Luft aufgelöst oder ein neues Bild hervorgebracht.

Es ist die Schmalseite eines Häuserblocks aus einer Wohnanlage der Genossenschaftszeit aus den 1920ern: zweistöckig, Spitzdach, drei oder vier Häuser im Verbund, auf der Längsseite vor den Haustüren eine Wiese mit einer niedrigen Hecke und auf der gegenüberliegenden Schmalseite eine große Birke. Wir laufen an der Längsseite entlang, bis ich am Ende des Blocks die Sonnenreflexion an der schräg anlaufenden Seitenkante eines runden, sandsteinfarbenen Turmes erkenne.
Es taucht einfach der Gedanke auf:
"Einen Eingang gibt es überall",
und schon erscheint vor mir eine offene Tür, die durch einen langen, rund gewölbten Gang in den Turm hinein führt. Ich laufe hinein.

Als Erstes taucht kurz ein schlichter Schreibtisch in meinem Blickfeld auf und dann ein Kaleidoskop an Gesichtern:
... ein jüngerer Mann, der sich mit schmerzverzerrtem Gesicht mit der Hand den Hals dehnt – offensichtlich ist er sehr verspannt und könnte eine Massage oder eine Geistheilung gebrauchen...
... eine dauergewellte Frau...
... eine jüngere Frau mit langen Haaren und schönem Schmuck...
... ein älterer Mann...
Spontan denke ich: Vielleicht sollte ich meinem "Fallmanager" eine Heilung anbieten?
Dann stelle ich mir vor, wie ich diese Menschen mit meinen Bildern heile.
Und dann, wie ich ihre Gesichter male.
Am Ende läuft wieder mein perlengeschmücktes Stachelschwein vor mir her, und ich denke längere Zeit darüber nach, wie ich es am besten male und dass es höchste Zeit ist, dass es mal ein Bild bekommt: Es ist so schön!

Ich gelange zu einem Baum auf einem felsigen Hügel. Erst sieht er aus wie eine riesige, wirbelnde Spindel, doch dann wird eine richtige Buntstiftzeichnung daraus: ein grüner Baum, an dem ein Netz herunterhängt, auf etwas felsigem, aber grünem Untergrund. Ich schaue mir das Bild längere Zeit mit Freude an und entdecke schließlich sogar oben eine Sonne wie aus einer Kinderzeichnung.

Der Baum verschwindet, und es erscheint eine große Sonnenmaske aus goldenem Metall. Ihr offener Mund mündet in einen langen Schlauch, und durch den saugt sie einen kleinen Menschen zu sich hoch.
Kunst! Schöpferische Selbstverwirklichung! Mein Lebenstraum!
Zweimal kommt mir der Gedanke: "Vielleicht ist die ARGE sogar deine Geburtshelferin?"

Der Maske folgt eine rechte Hand, die eine kleine Phiole zwischen Daumen und Zeigefinger hochhält, ähnlich einem der kleinen Glasröhrchen mit homöopathischen Globuli. Die Phiole entschwebt der Hand nach hinten, wird immer kleiner.

Und dann sehe ich zwei goldene Hände, die zum Empfang geöffnet sind. Sie empfangen Licht von oben. Damit bedecken sie ganz langsam das Gesicht des Menschen, zu dem sie gehören.

Nun will ich zurück, denn ich möchte nicht die Hälfte der Bilder vergessen. Ich finde mich in dem rechts abzweigenden Gang am Ende der Tropfsteinhöhle wieder. Mein Stachelschwein läuft vor mir her. Wir laufen zurück in die Tropfsteinhöhle. Ich achte auf das Wasser, aber ich sehe keines mehr. In der Mitte der Tropfsteinhöhle steht mein Stachelschwein groß vor mir mit prächtigen Stacheln, die ich streichele. Ich bedanke mich herzlich bei ihm und verabschiede mich. Auf einmal sehe ich das Stachelschwein in der Luft, und es hat Flügel!

Ich verlasse die Tropfsteinhöhle und krabbele durch den Gang nach oben. Ein starker Strom, wie nasser Sand, fließt auf dem Boden entlang. Mir scheint, es stinkt hier auf einmal nach Urin, und ich bekomme den Eindruck, dass der nasse Sand Erbrochenes sein könnte. Es ist, als sei der Eingang zur Unterwelt besudelt. Mir wird unwohl, ich sehe zu, so schnell wie möglich hinaus zu kommen.
Draußen wende ich mich nach rechts. Dort erblicke ich endlich wieder den Gebirgszug mit dem Wasserfall im Hintergrund, doch im Vordergrund wachsen jetzt nicht nur die hohen, trockenen Stängel, die Mohnkapseln ähneln, sondern mittendrin auch ein kräftiger, grüner Baum. Als ich weiter nach rechts blicke, sehe ich in der Ferne extrem plastisch schneebedeckte Hochgebirgsgipfel, wie in den Alpen, die reichen bis zum Horizont.

© Angela Nowicki, 10. März 2010

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