Sonntag, 3. Juli 2011

Vier Hähne

Neila fährt in einem alten Bus über holprige Dorfstraßen. Der Bus ist voll mit müden Bauersfrauen und Männern in verblichenen Anzügen mit leeren Gesichtern. Die Sitze sind verschlissen, es riecht nach Knoblauch und Schweiß. Die Leute starren gleichmütig vor sich hin, manche schlafen. Aus dem Augenwinkel sieht Neila, wie dem hageren Mann neben ihr ein dünner Speichelfaden aus dem halb geöffneten Mund läuft.

Am rechten Straßenrand stehen drei wunderschöne weiße Osterlämmchen und ein viertes auf der Fahrbahn. Der Busfahrer fährt einfach drüber. Entsetzt fährt Neila auf. Sie fragt sich, ob er das Lämmchen überfahren hat und warum er so etwas tut. Ja, es stimmt, die Straßenverkehrsordnung schreibt vor, dass man nur für Tiere ab Schäferhundgröße bremsen darf, und das Lämmchen war viel kleiner. Trotzdem ist es grausam und herzlos. Neila öffnet schon den Mund, um den Busfahrer zur Rede zu stellen.

Da kommt ihr der Gedanke, dass er es ja vielleicht gar nicht überfahren hat, sondern nur drübergefahren ist. Unsicher schaut sich Neila im Bus um. Keiner der Fahrgäste regt sich auf, niemand, außer ihr, scheint etwas bemerkt zu haben. Sie starren weiter stumpf vor sich hin, ihr Nachbar schnarcht sogar ein bisschen.

Ihr fällt ein, dass sie erst gestern von einem Tier gehört hat, über das ein Auto so drüber gefahren ist, dass ihm nichts passiert ist, doch hinterher ist es durch den Schock gleich tot umgefallen. Die ganze Zeit denkt sie an das Schäfchen, während immer wieder Tiere auf der Fahrbahn stehen. Die laufen jedoch alle rechtzeitig davon, und der Busfahrer bremst jetzt auch immer ein wenig ab, wenn er sich ihnen nähert.

Auf einmal laufen vier prachtvolle, riesige Hähne vor dem Bus entlang, solche mit Federhosen an den Beinen. Sie sind mindestens so groß wie Menschen, und ihre Federkleider glänzen in den herrlichsten Farben: dunkelblau, rostrot, smaragdgrün...



© Angela Nowicki, 6. März 2010

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