Sonntag, 24. Juli 2011

Als das Wünschen noch geholfen hat

Vor anderthalb Jahren bekam ich eine Einladung zur ARGE, weil ich in einer so genannten Bedarfsgemeinschaft lebe. Ich bin beruflich selbstständig und brauche keine Unterstützung vom Staat, aber da lässt mir das Sklavengesetzbuch seit Jahren keine Wahl – mitgehangen, mitgefangen, haben sich die Autoren wohl gedacht. Ich hatte bereits Erfahrung aus einer früheren Gefangenschaft, und diese Erfahrung war alles andere als angenehm. Ich meine, wenn ich meinen Lebensunterhalt selbst verdiene, nur eben nicht in der Lage bin, noch eine weitere Person locker mit zu ernähren, wenn ich voll arbeite, meinen Urlaub aber beim Amt genehmigen lassen muss, ja sogar die Stadt nicht über Nacht verlassen darf, ohne mich abgemeldet zu haben – wie nennt man denn das? Wenn ich zudem Eingliederungsvereinbarungen unterschreiben muss, in denen ich mich verpflichte, alles zu tun, um unsere Hilfsbedürftigkeit zu beenden, sprich: einen Job zu suchen, von dem ich Zwei ernähren kann – DAS ist nun wirklich absurd, denn DEN Job würde ich vielleicht sogar nehmen, wenn es ihn gäbe...
Egal, jedenfalls ging das jetzt wieder los. Ich hatte einen furchtbaren Horror vor diesem Tag, und in den letzten fünf Tagen ging es mir richtig schlecht. Ich schlief schlecht, bekam Migräne, Herzklopfen und rutschte langsam, aber sicher auf eine Depression zu.

***

Zunächst mal machte ich eine Seelenreise zu meinem Krafttier mit der Frage, wie ich mich bei dem Gespräch am besten verhalten solle.
Dann fiel mir ein, was ich erst kürzlich übers Wünschen gelesen hatte. Ich hatte diese "Wünsche ans Universum" immer mit spöttischer Skepsis bedacht. Das Universum ist doch keine Geschenkboutique. Mein Paradebeispiel war: Was ist, wenn zwei sich etwas wünschen, was sich gegenseitig ausschließt? Dann hat das Universum ein Problem.
Aber es war der Strohhalm in meiner Verzweiflung. Es gibt ein paar Grundregeln:

1. Man kann sich nur für sich etwas wünschen, niemals für andere und auch nichts, in das andere dann involviert würden. (z.B.: "Ich will mit meinem Partner nach Australien reisen!" – schmeiß den Partner raus, dann klappt’s vielleicht auch mit Australien.)
2. Wünsche funktionieren nur, wenn sie als Gewissheit formuliert werden, also nicht: "Ich möchte morgen fit sein" (dann möchte man morgen auch nur fit sein), sondern: "Ich bin morgen fit" (oder "werde fit sein" – dann ist man fit).
3. Man muss schon ein bisschen energetische Arbeit vorher leisten. Einfach mal so nebenbei einen Wunsch in den Briefkasten werfen, bringt’s wohl auch nicht.
4. Wenn der Wunsch abgeschickt ist, muss man ihn vollständig loslassen – möglichst nicht zweifeln, am besten gar nicht mehr dran denken.

Gesagt, getan. Drei Tage lang ging ich geistig mit der Vorstellung schwanger, wie ich mir den Ablauf des Gesprächs am Freitag aus tiefstem Herzen wünschen würde. Am vierten Tag zog ich mich für längere Zeit zurück, konzentrierte mich voll auf diese Vision, steckte meine gesamte geistige Kraft hinein, hielt sie eine Weile – und schrieb sie liebevoll, mit bunten Farben und ein paar hübschen Schnörkeln verziert, auf eine weiße Karte:
Ich komme am Freitag bei der ARGE zu einem anderen Fallmanager, der vernünftig und verständnisvoll ist.
Noch eine kurze Konzentration – dann zündete ich die Wunschrakete, faltete die Karte zusammen und steckte sie weg.

Nun ja, mit dem Loslassen ist das aber so eine Sache. ICH konnte es nicht. Ich versuchte wirklich mein Bestes, doch am Abend steckte ich ganz tief im Stimmungsloch, und am nächsten Morgen stand ich in einer Verfassung auf, als werde ich gleich zur Schlachtbank geführt. Ich war mir sicher, dass das Wünschen gar nichts helfen würde, und anderthalb Stunden vor dem Termin erschien mir meine Vision schon als völlig abartig und unvorstellbar.

Aber wenn die Nacht am dunkelsten ist, ist der Morgen am nächsten. Als ich es gar nicht mehr aushalten konnte und bereits zu zittern und zu schwitzen begann, legte ich alles weg, setzte mich hin und nahm meine Desperado-Haltung ein: "Sollen sie mit mir machen, was sie wollen, mir ist alles egal." In diesem Moment fiel die ganze Spannung von mir ab, und schon nach kurzer Zeit war ich ruhig genug, um vor dem Aufbruch noch einmal zu meditieren.

Ich schaltete Meditationsmusik ein und ging in mein Herz-Chakra. Mein goldener Schwan war sofort zur Stelle. Er führte mich hinaus aus dem Tempel, und dort visualisierte ich, wie ich mir den Termin bei der ARGE wünsche:
einen neuen Fallmanager – eine Frau – sie ist nett – verständnisvoll – sagt, dass sie mich in Ruhe lassen wird – ist intelligent und vernünftig...

***

Als ich losging, war ich wie verwandelt. Es war ein herrlicher Frühlingstag. Zum ersten Mal seit einer Woche sah ich das auch wieder, spürte es, konnte den frischen Wind, die übermütige Sonne, den Duft der frischen Blätter und die Koloratur-Arien der völlig durchgeknallten Vögel mit allen Sinnen genießen. Von der Bushaltestelle zum Amt hüpfte ich fast, was ein erbaulicher Anblick gewesen sein muss.

Ich bekam einen neuen Fallmanager.
Es war eine Frau.
Sie war nett.
Verständnisvoll.
Sie sagte, sie werde mich selbstverständlich in Ruhe lassen, solange ich für meinen eigenen Lebensunterhalt sorgen kann, ich könne ja nichts für meine Situation.
Sie war intelligent und vernünftig.


Wie war das?
Das Perfide an der Logik ist, dass sie absolut fehlerfrei und dennoch falsch sein kann.
Ich glaube wieder an Geschenkboutiquen.

© Angela Nowicki, 24. Juli 2011

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