Sonntag, 21. Juli 2013

Warmer Entzug?

Tagebucheinträge vom 31. Januar - 3. Februar 2012

Eine schlimme Woche liegt hinter mir - und das war nun meine ersehnte Urlaubswoche. Während es am Montag noch mal richtig steil bergauf ging, stürzte ich am Dienstag in ein abgrundtiefes Loch, mitten in meine Ängste hinein, und seitdem versuche ich mühselig, wieder herauszukrabbeln, bin aber immer noch nicht draußen.
Ich muss sagen, der Auslöser war wohl erst das Buch von Stefan Back, das ironischerweise den Titel trägt „Ohne Angst Nichtraucher werden‟. Ich habe erst am Donnerstag mitgekriegt, was für massive Ängste der Typ schürt, der behauptet, Ängste abzubauen. Ja, er versucht die Angst vor dem Aufhören abzubauen, aber womit? Mit der Angst vor tödlichen Erkrankungen! Er will den Teufel mit dem Beelzebub austreiben, und das geht ja nun gar nicht. Noch niemand hat aus Angst heraus etwas wirklich Gutes, Bleibendes geschaffen!

Am Dienstag ging es mir noch gut, weil ich hoffte, dass mich der Galeriebesuch oben hält. Aber dann versuchte ich dauernd, nicht zu rauchen - ging nicht - dann nur paffen - und das Ergebnis war, dass mein Kopf sich derart aufs Rauchenwollen fixierte und in diesen Gedanken stabil einklinkte, dass ich sogar noch mehr rauchte als sonst! Und dazu als Begleitmusik die steigende Angst vor einem Emphysem! Hmmm, lecker! So macht das Leben Spaß!

Am Mittwoch schien es ein wenig aufwärts zu gehen, ich war nicht mehr so nervös und getrieben, aber der seelentechnische Ablauf in Bezug aufs Rauchen war derselbe wie am Vortag.

Am Donnerstag wurde es richtig schlimm. Ich fand es einfach lächerlich, dass ich unter einer massiven Entzugsdepression leide, wo ich noch gar nicht aufgehört habe zu rauchen. Aber ich habe auch das Gefühl, dass der Entzug praktisch schon jetzt stattfindet, ein „warmer‟ Entzug, nämlich der Entzug im Kopf, und wenn der geschafft ist, werde ich einfach nicht mehr zu rauchen brauchen - wie damals beim Trinken. Ich will auf keinen Fall einen Willensakt veranstalten, weil ich auf keinen Fall will, dass Zigaretten immer eine Bedrohung für mich darstellen. Ebenso, wie ich kein Alkoholiker mehr bin, will ich auch „kein Raucher mehr‟ werden und nicht „trockener Raucher‟.

Aber heute tobten meine beiden Ängste, die ich als zwei gegeneinander kämpfende, da widersprüchliche Ängste erkannte: die Angst vor Haltlosigkeit einerseits, die mich am Aufhören hindert - und die Angst vor dem Schuldigwerden (Versagen) andererseits, die mich am Rauchen hindert. So ist es nun so, dass ich nicht aufhören, aber auch nicht mehr normal rauchen kann - nach jeder Zigarette fühle ich mich Scheiße, wie ich mich aber auch Scheiße fühle, wenn ich nicht rauche - also grundsätzlich Scheiße. Ich würde das nun aber eigentlich nicht als Depression bezeichnen, denn hier wird ja nichts unterdrückt - es ist in Wahrheit das Gegenteil einer Depression: Die Ängste sind ausgebrochen und mir mehr als bewusst, und ich sitze in der Mitte zwischen ihnen, mitten auf dem Schlachtfeld zwischen den Fronten und kann gar nicht mal auf sie reagieren. D.h. ich kann gar nicht anders als reagieren, denn außer Rauchen und Nichtrauchen gibt es ja keine Alternative - tue ich das eine, schlägt die andere Angst zu et vice versa.
Und so endete ich heute als ein einziges Angst- und Krampfbündel. Bis ich es nicht mehr aushielt und MET machte. Sechsmal. Angefangen mit „Ich habe Angst, mit dem Rauchen aufzuhören‟ bis hin zu „Ich habe eine Scheißangst loszulassen‟ - da heulte ich Rotz und Wasser, und es hatte sich eine Menge gelöst - ich ging eine rauchen mit dem tiefen Gefühl, dass alle piepegal ist. Vor allem war mir eine mögliche tödliche oder irreversible Krankheit egal geworden, und das war wohl der größte Fortschritt.
Dann rief ich meine Freundin an. Natürlich brach mein ganzes Elend aus mir raus, und sie sprach lange mit mir darüber und sagte, ich sei keineswegs ein Versager, sondern, im Gegenteil, ein prachtvoller Mensch, der in seinem Leben bereits erfolgreich alles erreicht habe, was seine Bestimmung gewesen sei - sie sagte, ich habe so außergewöhnlich viele und schwere Lasten von meiner Familie übernommen und keine davon an meine Kinder weitergegeben, und wenn ich sie verletzt habe, dann nur, weil ich nicht anders konnte. Auf jeden Fall habe ich immer gekämpft und mein Bestes gegeben und nie aus Bosheit heraus gehandelt.
Danach war der Spuk ein paar Stunden lang vorbei, ich atmete auf. Ich stand sogar schon vor dem Balkon, kehrte aber um und zog mich wieder aus, weil ich keinen Sinn in einer Zigarette sehen konnte. Im Laufe des Abends wurden die Ängste zwar wieder lauter, aber ich hatte etwas sehr Wertvolles gefunden: das MET.

Am Freitag hatte ich früh einen Termin zur Blutabnahme bei meiner Hausärztin. Erst kurz vor dem Mittagessen merkte ich, dass ich das Frühstück völlig vergessen hatte, ich hatte nicht mal ans Essen gedacht. Dafür rutschte ich im Laufe des Tages wieder sanft in meinen Angstkrampf rein. Vor allem die Rufe des Wilden Weibes in meiner gestrigen Seelenreise wirken schon, zumindest überzeugen sie mich geistig derart, dass die Schuld- und Versagensängste unmerklich leichter werden. Der Angstkrampf ist auch längst nicht mehr so schlimm wie gestern, aber es ist nun schon der dritte Tag, an dem mir eine Stunde Schlaf fehlt und ich das auch merke. Ich bin hundemüde. Ich hatte den ganzen Tag zu tun, mich irgendwie seelisch einigermaßen gerade zu halten.

Am späteren Abend schlug alles um. Ich war halb zehn noch eine rauchen, und auf einmal war ich sicher, das nicht mehr zu brauchen. Ich hatte nach Kräuterzigaretten gegoogelt und Hunderte von begeisterten Berichten in einem Forum gelesen, wo aber eigentlich alle schrieben, der Entzug sei so hart geworden, dass sie schon deshalb nie wieder rauchen würden, um sich das nicht noch mal anzutun. Gleichzeitig priesen sie in Lobgesängen die Kräuterzigaretten, ohne die sie es nicht geschafft hätten. Da kam ich ins Grübeln: Also, einen harten Entzug kriege ich auch ohne den Kräuterersatz hin. Machen diese Leute sich nicht ganz gewaltig was vor? Sie rauchen Monate oder Jahre nach dem „Aufhören‟ immer noch - nur eben Kräuterzigaretten, die zwar kein Nikotin, dafür aber allemal noch ca. 3 mg Kondensat drin haben! Ich frage mich, wozu man dann mit dem Rauchen aufhört, wenn man sich die Lunge weiter mit Teer vollkleistert? Dann ist das Nikotin doch völlig schnurz! Abhängig sind sie doch trotzdem noch - der eine mehr, der andere weniger, aber gar nicht mehr rauchen taten die wenigsten - wie im richtigen Leben. *lol*
Vor allem aber juckte es mich irgendwann, dieses „aaah, was habe ich gelitten‟, „aaah, was war der Entzug hart, nie wieder!‟ Ich dachte, ich würde mich am liebsten hinstellen und schulterzuckend verkünden, dass der Entzug eigentlich total easy ist: Ich habe keine körperlichen Beschwerden (worüber etliche klagten), ich habe nicht mal seelische Beschwerden - außer dem ständigen Gedanken an die Zigarette, d.h. eigentlich ans „Rausgehen und eine Rauchen‟ - na, und? Gedanken sind doch keine Beschwerden. Ich redete mir voller Überzeugung ein, dass Aufhören überhaupt kein Ding sei - jedenfalls nicht für mich - und das war der Wendepunkt.
Erst mal rauchte ich die nächste Zigarette erst nach zweieinhalb Stunden, und auch da überlegte ich, ob ich das nicht lieber lasse. Ok, ich hab eine dreiviertel Stunde später noch die letzte auf dem Küchenbalkon geraucht. Es geht einfach darum, und das ist mir das Wichtigste:

ICH WILL MICH ZU NICHTS ZWINGEN. WENN ICH DAS TUE, WIRD DAS BEDÜRFNIS NIE AUFHÖREN, DANN WERDE ICH IMMER „TROCKENER RAUCHER‟ SEIN.

ICH WILL, DASS MIT DER ZEIT DAS BEDÜRFNIS EINFACH NACHLÄSST, SO WIE BEIM ALKOHOL. DASS ICH IRGENDWANN VON SELBST KEINEN BOCK MEHR HABEN WERDE ODER MICH DAVON MEHR ABGESTOSSEN ALS ANGEZOGEN FÜHLE - DANN WERDE ICH AUCH NICHT MEHR RAUCHEN. UND ZWAR VON SELBST.

Keine Angst. Kein Zwang. Angst ist ja auch immer Zwang. Das ist das Wichtigste.
Der Rest spielt sich im Kopf ab, und genau da arbeitet es ja seit Montag so heftig.

© Angela Nowicki, 20. Juli 2013

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