oder
Da ziehen sie durch die Länder
Freitag, 6. August 76
15.40. Urlaub! Frei!! Endlich. Bettina fragt noch, wann der Tramperbus kommen soll, dass ich nicht aus der Hüfte komme.
"Nun geht mal auseinander! Komm, Nelly, mach dich los! Willste nich noch'n paar Bemmen zurechtmachen?"
Nachher.
Ich komme wirklich ewig nicht aus der Hüfte. Die Flickerei dauert Ewigkeiten. Endlich will ich los.
Packen. Zimmer wird nachher sauber gemacht. Da fällt mir ein, am besten wär's, doch die Parka noch so weit zu flicken, dass ich sie anziehen kann. Kurz nach 18 Uhr bin ich unten.
"Na, der Traktor kommt wohl doch nicht mehr?"
Oja, doch, der kommt schon noch, wird'n bisschen später.
Die Schnitten, dann geh ich zu Anneliese. Sie bewundert meine Lee-auf-Levis. Wiedersehn und alles Gute zu Anita. Plötzlich erhebt sich vorn großes Gebrüll:
"Na, willste nich mal vorkommen?! Ich geh jetzt!"
Wie sollte ich diesem innigsten Wunsch nicht sofort nachkommen wollen? Bettilein wünscht mir einen steifen Nacken. Na klar, ich bin standfest.
"Also mach's gut, Kleene!"
Der Abschied ist wie Bettina: kurz, herzlich und schmerzlos. Bei Anneliese geht's schon schwerer ab. Lange werden noch Worte gewechselt, aber das Unvermeidliche lässt sich doch nicht verhindern, vor allem nicht in meinem Interesse. Ich muss schon die Initiative ergreifen:
"Also, machen wir's kurz und schmerzlos: Leben Sie wohl, Fräulein Anneliese, und ich wünsche Ihnen..."
Sie weint. Ich weiß wieder mal nicht, wie ich reagieren soll. Umarmung, Kuss:
"Und weinen Sie nicht mehr so viel!"
Ich will ohne Aufsehen verschwinden:
"Tschüss, alle Mann!"
Aber da macht der ganze Saal nicht mit.
"Und uns wollen Sie wohl nicht auf Wiedersehen sagen?"
Ich versuche, mich aus der peinlichen Situation zu ziehen:
"Ooch, stellen Sie sich mal vor: 19 Hände schütteln - wann soll ich denn da wegkommen?"
Die Masse kann sich gar nicht trennen. Frau Hahn, Frau Müller, Frau Dörfel, Frieda. Frau Schlechte drückt mir 20 Mark in die Hand. Oh! Dafür wird sie noch mal ganz lieb gedrückt. Käthe pennt schon unterm "Leichentuch". Frau Rößler, Frau Daehn, Frau Höntsch. Sie will noch allerhand wissen: wie lange ich hier gewesen bin, wohin ich jetzt gehe, was mein Freund macht... Großes Gelächter, als ich erkläre, dass es den eigentlich gar nicht gibt. Frau Bienert, Wellchen - na ja. Gott sei Dank, Eugenie pennt. Oder auch schade.
Rüber. Frau Lantermann hat noch was für mich: eine Tafel Schokolade. Frau Schiffner. Die Fischerin kapiert natürlich nicht, was das soll. Für sie ist das der übliche Gute-Nacht-Gruß. Krächz-krächz, "meine Gute!" Frau Weckbrodt, Pavisa, Steuer.
Geschafft! Es war eine ganz schöne Zeremonie. Die Sachen sind schnell gepackt, auch das Zimmer pfusche ich nur so hin. Dann zu Einhorns. Herr Einhorn ist schon okay, er bedankt sich noch bei mir. Überhaupt verabschieden sich alle mit vielen guten Wünschen. Immer dasselbe.
Endlich, endlich rotiere ich los, schwer beladen, aber rüstig ausschreitend, Richtung Autobahn. Den Radebergern fallen bald sämtliche Augen raus: Ich hab meine US-Army-Parka an. Ich aber bin froh, bin so unheimlich froh gestimmt, heiter - frei.
Weit ist der Himmel. In ihm kann ich frei sein.
Frei wie die Wolken, die ziehen, wohin der Wind sie treibt...
Oben hält auch gleich ein Trabi. Ein mittelaltes Ehepaar mit Kind - sieh mal einer an! Sie fahren sogar extra einen Umweg wegen mir.
Auf der Autobahn stehen schon zwei Tramper. Görlitzer nach Görlitz. Ich schnüre mein Gepäck bequemer, laufe auf dem Grünstreifen trampend auf und ab. Ein Lkw parkt. Zwei junge Kerls pfeifen nach mir. Vielleicht sollt ich mal hingehen? Ich reagiere nicht - sie haben ja doch keinen Platz mehr. Als der Lkw losfährt, quatscht mich der Fahrer an. Nach Görlitz? Er überlegt drei Sekunden.
"Na los, steig ein!"
Die beiden fahren nach Görlitz. Ich als Motorblock-Maskottchen.
Halb zehn bin ich am Demiani-Platz. Ich schleppe mich mit meiner Ladung durch die Altstadt. Ursprünglich mit dem Ziel, eine Kneipe zu finden. Daraus wird selbstverständlich ein Altstadt-Bummel. Herrliche Slums! Aus einem erleuchteten Parterrefenster lehnt ein Kerl vor einer Musikkulisse.
"Willst'n Schluck Wein?"
Aber gerne. Rotwein, ungarischer. Mmm, mein Lieblingswein. Dein Lieblingswein? Er verschwindet, offenbar um noch Reste zu suchen, findet aber nichts. Drin hocken ein paar angeturnte Käthen, sie lachen sich halb dämlich über mich. Er kommt zurück:
"Trink nur, wir haben schon genug getrunken!"
Den Eindruck hab ich auch.
Bist Tramper?
Ja.
Wohin trampst'n? Nach Polen? Ich trampe morgen.
"Auch nach Polen?"
Nee-he-he! Also dann - viel Glück!
15.40. Urlaub! Frei!! Endlich. Bettina fragt noch, wann der Tramperbus kommen soll, dass ich nicht aus der Hüfte komme.
"Nun geht mal auseinander! Komm, Nelly, mach dich los! Willste nich noch'n paar Bemmen zurechtmachen?"
Nachher.
Ich komme wirklich ewig nicht aus der Hüfte. Die Flickerei dauert Ewigkeiten. Endlich will ich los.
Packen. Zimmer wird nachher sauber gemacht. Da fällt mir ein, am besten wär's, doch die Parka noch so weit zu flicken, dass ich sie anziehen kann. Kurz nach 18 Uhr bin ich unten.
"Na, der Traktor kommt wohl doch nicht mehr?"
Oja, doch, der kommt schon noch, wird'n bisschen später.
Die Schnitten, dann geh ich zu Anneliese. Sie bewundert meine Lee-auf-Levis. Wiedersehn und alles Gute zu Anita. Plötzlich erhebt sich vorn großes Gebrüll:
"Na, willste nich mal vorkommen?! Ich geh jetzt!"
Wie sollte ich diesem innigsten Wunsch nicht sofort nachkommen wollen? Bettilein wünscht mir einen steifen Nacken. Na klar, ich bin standfest.
"Also mach's gut, Kleene!"
Der Abschied ist wie Bettina: kurz, herzlich und schmerzlos. Bei Anneliese geht's schon schwerer ab. Lange werden noch Worte gewechselt, aber das Unvermeidliche lässt sich doch nicht verhindern, vor allem nicht in meinem Interesse. Ich muss schon die Initiative ergreifen:
"Also, machen wir's kurz und schmerzlos: Leben Sie wohl, Fräulein Anneliese, und ich wünsche Ihnen..."
Sie weint. Ich weiß wieder mal nicht, wie ich reagieren soll. Umarmung, Kuss:
"Und weinen Sie nicht mehr so viel!"
Ich will ohne Aufsehen verschwinden:
"Tschüss, alle Mann!"
Aber da macht der ganze Saal nicht mit.
"Und uns wollen Sie wohl nicht auf Wiedersehen sagen?"
Ich versuche, mich aus der peinlichen Situation zu ziehen:
"Ooch, stellen Sie sich mal vor: 19 Hände schütteln - wann soll ich denn da wegkommen?"
Die Masse kann sich gar nicht trennen. Frau Hahn, Frau Müller, Frau Dörfel, Frieda. Frau Schlechte drückt mir 20 Mark in die Hand. Oh! Dafür wird sie noch mal ganz lieb gedrückt. Käthe pennt schon unterm "Leichentuch". Frau Rößler, Frau Daehn, Frau Höntsch. Sie will noch allerhand wissen: wie lange ich hier gewesen bin, wohin ich jetzt gehe, was mein Freund macht... Großes Gelächter, als ich erkläre, dass es den eigentlich gar nicht gibt. Frau Bienert, Wellchen - na ja. Gott sei Dank, Eugenie pennt. Oder auch schade.
Rüber. Frau Lantermann hat noch was für mich: eine Tafel Schokolade. Frau Schiffner. Die Fischerin kapiert natürlich nicht, was das soll. Für sie ist das der übliche Gute-Nacht-Gruß. Krächz-krächz, "meine Gute!" Frau Weckbrodt, Pavisa, Steuer.
Geschafft! Es war eine ganz schöne Zeremonie. Die Sachen sind schnell gepackt, auch das Zimmer pfusche ich nur so hin. Dann zu Einhorns. Herr Einhorn ist schon okay, er bedankt sich noch bei mir. Überhaupt verabschieden sich alle mit vielen guten Wünschen. Immer dasselbe.
Endlich, endlich rotiere ich los, schwer beladen, aber rüstig ausschreitend, Richtung Autobahn. Den Radebergern fallen bald sämtliche Augen raus: Ich hab meine US-Army-Parka an. Ich aber bin froh, bin so unheimlich froh gestimmt, heiter - frei.
Weit ist der Himmel. In ihm kann ich frei sein.
Frei wie die Wolken, die ziehen, wohin der Wind sie treibt...
Oben hält auch gleich ein Trabi. Ein mittelaltes Ehepaar mit Kind - sieh mal einer an! Sie fahren sogar extra einen Umweg wegen mir.
Auf der Autobahn stehen schon zwei Tramper. Görlitzer nach Görlitz. Ich schnüre mein Gepäck bequemer, laufe auf dem Grünstreifen trampend auf und ab. Ein Lkw parkt. Zwei junge Kerls pfeifen nach mir. Vielleicht sollt ich mal hingehen? Ich reagiere nicht - sie haben ja doch keinen Platz mehr. Als der Lkw losfährt, quatscht mich der Fahrer an. Nach Görlitz? Er überlegt drei Sekunden.
"Na los, steig ein!"
Die beiden fahren nach Görlitz. Ich als Motorblock-Maskottchen.
Halb zehn bin ich am Demiani-Platz. Ich schleppe mich mit meiner Ladung durch die Altstadt. Ursprünglich mit dem Ziel, eine Kneipe zu finden. Daraus wird selbstverständlich ein Altstadt-Bummel. Herrliche Slums! Aus einem erleuchteten Parterrefenster lehnt ein Kerl vor einer Musikkulisse.
"Willst'n Schluck Wein?"
Aber gerne. Rotwein, ungarischer. Mmm, mein Lieblingswein. Dein Lieblingswein? Er verschwindet, offenbar um noch Reste zu suchen, findet aber nichts. Drin hocken ein paar angeturnte Käthen, sie lachen sich halb dämlich über mich. Er kommt zurück:
"Trink nur, wir haben schon genug getrunken!"
Den Eindruck hab ich auch.
Bist Tramper?
Ja.
Wohin trampst'n? Nach Polen? Ich trampe morgen.
"Auch nach Polen?"
Nee-he-he! Also dann - viel Glück!
4 Kommentare:
Wann geht´s weiter?
Wenn die Muse küsst. ;)
Wennse nicht küsst, wird's Krampf.
Okay, dann guten Kuss!
Hat schon geküsst. Hat sich jedenfalls so angefühlt.
Viel Spaß beim Lesen!
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