Sonntag, 28. August 2011

Vergangene Fremde

Ich bin unterwegs. Ständig bin ich jetzt nachts unterwegs, immer finde ich mich auf irgendwelchen Bahnhöfen wieder. Züge und mehr Züge, abfahrende Züge und Züge, auf die ich warte, um zu fahren... wohin? Ja, ich weiß wohin, immer ist es derselbe Ort, und manchmal komme ich sogar an, dann bin ich in der alten Wohnung, in der Wohnung, die mir verhasst geworden ist und von der ich jetzt träume. Wir wohnen wieder dort, aber wir sind jetzt andere, Neue, Fremde - Michael, Laura und ich, aber immer ist auch der Vater da, ihm gehört die Wohnung, er geht nicht weg, verreist, kommt immer wieder. Und immer wieder meine Angst vor seinem Kommen: Merkt er auch wirklich nicht, was sich zugetragen hat in seiner Abwesenheit? Wir haben seine Papiere durchwühlt, seinen Cognac probiert und viel geraucht und...

Aber er kommt und ist immer abwesend, immer wieder lässt er uns allein, und ich öffne gespannt jeden Morgen den Briefkasten, und jedesmal überfällt mich eine fast lähmende Freude, denn es sind mindestens sechs Briefe an mich drin...

Aber der Putz bröckelt von den Wänden, und Spinnen rennen auf dem Fußboden entlang; es ist nicht mehr die alte Wohnung, wir wohnen im fünften Stock, zu erklimmen nur über eine abgebrochene Treppe über schwindelnden Haustiefen. Da oben sitzen meist viele junge Leute, fremde Freunde, und warten auf uns. Doch ich erreiche diese Wohnung nur unter Angstkrämpfen, jedes Mal, und jedes Mal die neue verzweifelte Angst, nach Hause zu gehen, denn ich bin nicht schwindelfrei. Was, wenn ich doch da hinauf und hinüber muss, weil Laura oben sitzt und auf Essen wartet? ...

© Angela Nowicki, 1981

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