Donnerstag, 11. August 2011

Kapitel 2: Radeberg - Częstochowa (2)


Sonntag, 8. August 1976

Ich habe einen schockierenden Tag in Rothenburg hinter mir, an dem ich gewaltsam aus dem Brüderhaus Martinshof entfernt wurde. Die Kirche hat wohl so ihre Probleme mit mir, weshalb ich heimlich bei einem Kumpel im Krankenhaus übernachten musste.
Am Morgen holt Carmen mich ab. Wir hatten uns vorgenommen, halb neun am Bus nach Görlitz zu sein; jetzt ist es gleich acht. Wir fahren nach Rothenburg rein. Von einem Bus natürlich keine Spur; der Fahrplan sagt dann Weiteres: verkehrt nur wochentags. Der nächste erst wieder dreiviertel elf. Klasse. Also, auf zum Tramp nach Görlitz, den wir ja eigentlich um jeden Preis vermeiden wollten.
Er macht sich auch entsprechend. Das erste Auto bis Niederneundorf - 3 km. Unerwarteterweise macht mir das Ganze mit Carmen mehr Spaß, als ich gedacht habe. Der Tramp bröckelt sich so dahin. Dennoch sind wir um zehn in Görlitz am Bahnhof, sogar noch eine Dreiviertelstunde vor Abfahrt des Busses in Rothenburg. Wir haben beide einen bärischen Knast. Also erst mal in die Mitropa zum Morgenkaffee.

Nach fast einer Viertelstunde lässt sich unser Kellner mal sehen. Ein fies wirkender Typ, und dass er nicht nur so wirkt, stellt sich bald heraus. Keine Frühstücksplatte, kein Kuchen, nichts Warmes vorrätig - nur eine Salamiplatte.
"Gut", sag ich. "Zwei Salamiplatten."
Fast gleichzeitig platzt er mir mit einer Bemerkung in den Satz: "Mittagskarte erst ab elf."
Und verschwindet.
Unseren bestellten Kaffee bringt er uns nach einer weiteren Viertelstunde, vom Essen allerdings keine Spur. Als er sich wieder mal sehen lässt, machen wir ihn freundlichst auf diesen Tatbestand aufmerksam.
"Ham Sie" - nein: "Habt ihr (!) doch gar nicht bestellt! Wann denn? Da muss ich erst mal sehn, ob's überhaupt noch welche gibt. Kann sein, ihr kriegt gar nischt mehr."
Himmlische Aussicht. Viertelstunde später, nachdem wir jede "schon" den zweiten Kaffee haben, bringt er sie uns doch noch. Kann sich natürlich nicht verkneifen zu bemerken:
"Habter aber noch mal Schwein gehabt."
Na, prima. Von da an verschönt er uns die Mahlzeit mit einem lautstarken Gespräch zwischen ihm und ein bis zwei seiner Kollegen, in dem es über eine imaginäre Frau hergeht, die "ja doch keinen mehr abkriegt". Als wir noch zwei Kaffee bestellen, erhalten wir den lakonischen Bescheid:
"Erst aufessen!"
Viertel zwölf (!) dürfen wir endlich zahlen. Er nimmt sich, um das Maß noch voll zu machen, unaufgefordert sein Trinkgeld, nachdem er eine ältere Frau ziemlich rücksichtslos beiseite gefaucht hat. Da platzt mir dann doch die Hutschnur. Ich fordere genaue Geldrückgabe. Er kramt noch mal fünf Minuten, verliert aber keinen Ton mehr.

Endlich schießen wir los zur Straßenbahn. Rauschwalde. Wir stehen eine Ewigkeit und machen außerdem bald in die Hosen. Ich weiß nicht, wie lange wir gewartet haben, bis endlich einer hält nach Reichenbach. Dort verdrücken wir uns erst mal aufs Klo einer Gaststätte, kaufen Zigaretten. Weiter.
In Reichenbach stehen wir nicht so lange, da geht's gleich bis Löbau. Dort haben wir ganz schön lange zu laufen bis auf die Zittauer Straße. Aber da kriegen wir auch bald einen älteren Herrn im Trabi, der nach Herrnhut will. Er fährt uns bis fast vor den Katharinenhof in Großhennersdorf. Bietet uns zum Abschied noch seine Adresse als Penne an. Wir lehnen dankend ab. Wir haben was gegen solche älteren Herren.

5 Kommentare:

Herbert hat gesagt…

Sehr interessant. Jurek Apostol kannte ich gut, war er denn damals schon Hare-Krishna-Anhänger? Vielleicht kanntest Du auch Bizon, einer der "Chefideologen" der Hippiebewegung, der später nach Amerika ging (und dort unterging, leider - beschrieben in dem Buch "Z glowy" von Janusz Glowacki)? Von ihm bekam ich 1976 mein erstes polnisches Buch: "Zieleni sie Ameryka" von Charles A. Reich - http://chomikuj.pl/niebieska_pestka/Dokumenty/Pedagogika/Reich-+Zieleni+si*c4*99+Ameryka,311471090.pdf

magaluisa hat gesagt…

Ich kann mich leider nicht mehr wirklich an die einzelnen Leute erinnern, von Bizon weiß ich gar nichts. Von Apostol nur noch den Namen, weil der in meinen Aufzeichnungen auftaucht. Die Einzigen, die wirklich einen bleibenden Eindruck hinterlassen haben, waren Henas und Ewa. Aus Tarzans Buch habe ich erst erfahren, dass Henas schon lange nicht mehr lebt. Er war später eine der Hippielegenden.
Hier mal für alle, die evtl. stumm, aber interessiert mitlesen, die Empfehlung zu Wojciech Michalewskis "Mystiker und Junkies": http://www.amazon.de/Mystiker-Junkies-Wojciech-Michalewski/dp/3867035776, zum Reinlesen und Bestellen beim Engelsdorfer Verlag Leipzig: http://www.engelsdorfer-verlag.de/db/werkdetail.php?autor_id=777&werk_id=1326
Gutes Buch!

Herbert hat gesagt…

Das Buch habe ich schon vielen Bekannten empfohlen, ich hoffe sie haben es gleich bei Dir bestellt?

magaluisa hat gesagt…

Nein, Michael Rauhut war der Einzige.

magaluisa hat gesagt…

Nach meiner Kapitelumstellung sind nun natürlich die Kommentare nicht mehr ganz lotrecht. Alle Kommentare bis hier hin werden dann zum 7. Kapitel gehören.
Anarchisten können ganz schön Arbeit machen... *seufz*