Sonntag, 30. Juni 2013

Der dritte Weg

Tagebucheintrag vom 16. Oktober 2011

Diese billigen Masken. Den Schmerz zu betäuben mit dem Gedanken, dass Schmerzen nicht sein sollen, geistige Anästhesie. Natürlich, der Schmerz ist auf Dauer nicht auszuhalten, man sucht nach Lösungen, und ich glaube wirklich, dass es nicht richtig ist, sich ihm einfach hinzugeben. Einfach, weil davon nichts geheilt wird, und ich glaube an eine Heilungsmission. Ja? Und was ist mit den Depressionen von D.? Dir fallen ohnmächtig die Arme runter, und alles, was dir noch einfällt, heißt Aushalten? Es muss noch einen dritten Weg geben, der weder billig noch fatalistisch ist, aber vielleicht ist dieser dritte Weg, dieser Heilweg doch der Fatalismus? Vielleicht heilt der Schmerz, indem man ihn nicht nur aushält, sondern auch durchlebt, sich in ihn fallen lässt?

Das Fallenlassen ist gleich das nächste Thema. Was hält mich davon ab, ganz in meinem Tun zu versinken? Andere Leute? Die angekündigten Besuche der kommenden Wochen sind eigentlich eine wunderbare Chance, das mal genau zu beobachten. Hindern sie mich wirklich, d.h. ist es mir in der Gegenwart anderer, selbst wenn sie gar nichts von mir wollen, wirklich nicht möglich, in meinem Tun zu versinken, no way? Und wenn ja, warum. Und so weiter.
Termine? Ja, ich glaube, es ist eine tief sitzende Angst davor, nicht wieder rechtzeitig aufzutauchen, über die ich keine Kontrolle habe. Doch um all das ein weiteres Mal und bewusster erkunden zu können, muss ich überhaupt erst einmal - allein und ohne Termine - in der Lage sein, ganz in meinem Tun zu versinken. Was ich gerade nicht bin, allerdings hatte ich ja in den vergangenen drei Monaten ständig Termine und auch immer wieder andere Leute um mich. Das Mögliche aus der Mitte der Verhinderung heraus zu versuchen - was für hein heroischer Hakt!

Seit einigen Tagen baut sich nachts, vorwiegend beim Schlafengehen, ein immer stärkerer Druck auf, Bücher zu schreiben, wozu ich tagsüber nicht die geringste Lust habe. Und das werfe ich dann Menschen und Terminen vor. Es ist aber meine Lust, die ich wohl nicht einmal mir vorwerfen muss, denn das Tun ergibt sich erfahrungsgemäß - ja, inzwischen auch erfahrungsgemäß, hurra! - aus einem Intialdruck, der aber erst aufgebaut werden muss. Offensichtlich nachts beim Schlafengehen.

Ganz in meinem Tun versinken. Das habe ich heute getan! Es genügt doch ein Willensakt, wenigstens um erst mal reinzukommen. Ich habe - ein erstes Mal, sicher werden mehrere solcher Erfahrungen notwendig sein - erfahren, dass
ich keinen Termin verpasse, man kann schmerzlos auftauchen
ich nur so die volle Befriedigung aus meiner Tätigkeit erreiche (aber das war ja vorher schon klar)
ich effizienter arbeite!

Abends habe ich wieder wegen D. gelitten. Meine Schuldgefühle werden in letzter Zeit immer massiver, und da die Parole ja lautet „laufende Themen bearbeiten‟, werde ich damit wohl sofort etwas tun müssen.
Aber nicht nur Schuldgefühle, auch die Umkehrung: Ich erinnerte mich sofort, dass sie noch voriges Jahr im Urlaub sich so gefühllos mir gegenüber verhalten hat. Vor allem aber erinnerte ich mich, wie sie mich vor vielen Jahren einmal moralisch (durch abweisende Kälte) gezwungen hat, mit höllischer Migräne mit ihr ins Theater zu gehen, und wie ich da gelitten habe...

© Angela Nowicki, 30. Juni 2013

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