Traum vom 27. September 2011
Mitten im dichten Verkehr fuhren wir mit dem Fahrrad nach Hause, meine Tochter und ich. Sie fuhr vor mir. Rote Ampel hinterm Gleisdreieck vor dem ehemaligen Sporthaus. Der Wagen vor uns hielt, meine Tochter bremste - und ich konnte nicht bremsen, weil ich den falschen, den linken Fuß oben hatte - ich kann nur mit dem rechten Fuß die Rückbremse treten. Ich fuhr auf meine Tochter auf, und im selben Moment gab es einen Knall: Ich hatte sie gegen das Auto vor ihr geschoben. Auffahrtunfall.
Erst passierte gar nichts, außer dass ich herumfuchtelte, um zu zeigen, dass ich das war. Ich glaube, wenn ich das nicht gemacht hätte, hätte gar keiner was gemerkt! So aber wurde nicht nur meine Tochter, sondern auch die Fahrerin des Autos aufmerksam und stieg aus. Ich sagte, ich war das, hier ich! Ich konnte nicht mehr bremsen, bin gegen das Fahrrad vor mir gefahren. Meine Tochter bestätigte das, und die Fahrerin und ihr Begleiter freuten sich: „Na, das ist ja wunderbar, dann ist ja alles klar, wenn gleich freiwillig alle Schuldbezeugungen kommen!‟
Wir schoben unsere Fahrzeuge nach links an den Straßenrand, um den Unfall aufzunehmen. In diesem Moment dachte ich schon darüber nach, was ich denn sonst hätte tun sollen. Ich war ein wenig verblüfft, dass die beiden sich so diebisch über mein Schuldeingeständnis freuten, so als sei das nicht üblich. Ich hätte es wohl abstreiten können? fragte ich mich. Was hätte ich damit gekonnt? Letztlich war ich es doch, und es wäre eh rausgekommen, nur nach sehr viel gerichtlichem Hin und Her und Streit.
Die Frau schrieb und schrieb und untersuchte und fragte... Irgendwann fragte ich, ob ihr Schaden wirklich so groß sei, dass es sich lohne, darum so einen Aufriss zu machen. Aber ich drang mit der Frage nicht durch, und mir wurde klar, dass ich hier etwas werde bezahlen müssen, vielleicht nicht zu knapp. Doch dann fiel mir ein, dass das ja unsere Versicherung bezahlt.
Sie holte ihren Versicherungsausweis hervor, und da fiel mir ein, dass sie ja auch meinen braucht und ich gar keinen bei mir habe.
„Ooops, ich habe meinen Versicherungsausweis gar nicht bei mir‟, sagte ich. „Tut mir leid, den muss ich erst von zu Hause holen.‟ Sie lächelte und nickte.
„Zu Hause‟ war gleich nebenbei. Ich musste mich nur ein paar Schritte entfernen, und ich wusste auch, in welcher Schublade der Ausweis liegt, nur: Die Schubladen waren verschlossen, und ich hatte keinen Schlüssel dazu. Nun dachte ich fieberhaft nach, wo der Schlüssel sein könnte: Ich hatte ihn jedenfalls nicht an meinem Schlüsselbund, dabei sollte ich wohl. Lag er zu Hause irgendwo, oder trug P. ihn dauerhaft an seinem Schlüsselbund? Letzteres war am wahrscheinlichsten, er trägt ja immer alles bei sich, als sei er für alles verantwortlich. Und dann ist er nicht da oder nicht dabei, so wie jetzt, und der Rest der Welt hat das Nachsehen! Ich sah den Schlüssel ganz deutlich vor mir: ein kleiner, silberner Schlüssel, wie unser Briefkastenschlüssel.
„Tut mir leid‟, wandte ich mich wieder an die Frau. „Ich komme nicht in die Schublade mit dem Ausweis rein, ich weiß nicht, wo der Schlüssel ist. Ich werde Ihnen die Ausweisdaten mailen müssen.‟
Das war ok für sie, trotzdem rannte ich - dieses Mal mit meiner Tochter - noch eine Runde, um auszuprobieren, ob die anderen Schubladenschlüssel, die sehr wohl an ihren jeweiligen Schubladen steckten, vielleicht passten, ob es vielleicht alles derselbe Schlüssel war. Das erschien mir jedoch unwahrscheinlich - wozu hätte sonst jede Schublade ihren eigenen Schlüssel? Und so war es auch.
Ich weiß nicht, ob das eine Antwort auf eine Frage der Frau war oder ob sie aus einer kurzen Unterhaltung zwischen meiner Tochter und mir hervorging, aber auf einmal rief ich rechtfertigend: „Weil es jetzt überall heißt: Ja, ihr müsst erwachsen werden - hier... und dort... Ihr müsst erwachsen werden!‟
Die Frau lächelte leicht spöttisch: „Quatsch, niemand muss erwachsen werden‟, und schaute mich an. Erst viel später fiel mir ein, dass ich doch 54 bin! Was hatte sie wohl gedacht, als ich das sagte? Ich war doch nur mit meiner Tochter auf einer Veranstaltung für Jugendliche gewesen, wo es hieß, wir müssten erwachsen werden, und ich hatte dort nur eine Jugendliche spielen müssen und gespielt. Allerdings hatte ich mich in dem Augenblick, als ich das jetzt zu der Frau gesagt hatte, sehr wohl mit der Jugendlichen identifiziert und mich so gefühlt. Mir waren auch noch andere Anlässe eingefallen, zu denen es hieß, wir müssten erwachsen werden, und mir war ja erst hinterher eingefallen, dass ich doch eine alte Frau bin!
© Angela Nowicki, 26. Juni 2013
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