Samstag, 15. Juni 2013

Chemnitz, Sonnenberg

Das Chemnitzer Stadtviertel Sonnenberg war seit der Industrialisierung eines der drei Arbeiterviertel der Stadt. Die aus dem umliegenden Erzgebirge und den ländlichen Gebieten im Norden zuströmenden Menschen, die hofften, hier ihren Lebensunterhalt zu verdienen, wurden in schmucklose, vier- bis fünfgeschossige Mietskasernen mit Trockenklo auf halber Treppe gepfercht. Sie lebten in Armut und Elend, in düsteren, feuchten, viel zu engen Wohnungen. Der Sonnenberg war der Stadtteil mit der größten Einwohnerdichte und, damit einhergehend, einer hohen Säuglingssterblichkeit und grassierender Schwindsucht.
Die heute trotz allem besseren Lebensbedingungen sind nicht dem gesellschaftlichen System zu verdanken, sondern dem allgemeinen Fortschritt. Zu DDR-Zeiten war am „oberen‟ Ende des Sonnenbergs die Sowjetarmee in den alten Kasernengebäuden des 15. Königlich Sächsischen Regiments No. 181 einquartiert. In den Wohnhäusern auf der anderen Seite der damaligen Leninallee wohnten die Familien der Rotarmisten. Es gab mehrere „Russenläden‟, die wegen ihrer zum Teil exotischen Waren auch von den deutschen Einwohnern gern besucht wurden.
Von der Leninallee, die heute Heinrich-Schütz-Straße heißt, verläuft die Zietenstraße, damals Dimitroffstraße, quer über den Sonnenberg bis hinunter zur Augustusburger Straße. Dort unten begann sich Ende der 1980er Jahre etwas zu tun: Die verfallenden Mietskasernen wurden eingerüstet, und Tag für Tag machten sich mehr Bauarbeiter dort zu schaffen, als wir je an einem Fleck gesehen hatten. Der Grund war bald bekannt: Zum Pioniertreffen in Karl-Marx-Stadt 1989 mussten in aller Eile noch ein paar Potemkinsche Dörfer hochgezogen werden. An öffentlichen Toiletten, Papierkörben und Parkbänken fehlte es jedoch selbst bei Margots Besuch wie eh und je.
Heute ist der Sonnenberg immer noch das am meisten sanierungsbedürftige Stadtviertel. In den nicht erst seit der Wende leer stehenden Bruchbuden hat sich schnell die Chemnitzer Alternative angesiedelt: Künstler, Sozialarbeiter, Aussteiger. Eine Chemnitzer Variante der Bunten Republik Neustadt ist es trotzdem nicht geworden. Als Kontrastprogramm zu den Hochglanzbildchen im Sonnenberg-Artikel der Wikipedia hier ein paar ausgewählte Schnappschüsse, die ich heute am unteren Ende der Zietenstraße gemacht habe.
 




 
© Angela Nowicki, 15. Juni 2013

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