oder
Alles ist gut
Sonntag, 15. August 76
Kurz, nachdem Leszek seine Fahrkarte geholt hat, müssen wir aufbrechen. Im Zug schlafe und wache ich abwechselnd, schaue mir den Sonnenaufgang an und träume vom warmen Tag. Wo sind deine Schuhe, fragt Leszek. Ich muss lachen.
Als wir in Opole ankommen, fühl ich mich wieder mal wie durch den Wolf geleiert.
"Mir tut alles weh." Jetzt lacht Leszek.
Auf dem Stadtplan suchen wir erst mal die Straße nach Częstochowa. Es ist die Ozimska, und bis dorthin ist ein ansehnliches Stück noch zu laufen. Doch schließlich haben wir's geschafft, sind am Ende der Stadt angelangt und stellen uns kurz hinter einer Brücke auf. Trotz oder vielleicht wegen der frühen Morgenstunde hält kein Schwein. Leszek sitzt unter einem Baum und singt die ganze Zeit - er hat eine schöne Stimme. Ab und zu lässt er auf die Autos gemünzte Bemerkungen los, wie:
(pathetisch) "Wrocław!"
(verächtlich) "Syrena!" oder
(dramatisch mit leicht komischem Einschlag) "Jedzie takim trupem, a udaje że to samochód!"*)
Auch bei mir stellt sich mit den ersten brüchigen Tönen, die meine Gesangskehle hervorbringt, ganz allmählich wieder eine Trampstimmung ein. Schließlich nimmt uns doch einer mit, allerdings nur bis Ozimek. Dort stehen wir uns die Beine in den Bauch; die Straße ist alle halbe Stunde zwanzig Minuten lang blockiert von Kirchgängern und -fahrern.
Leszek fällt plötzlich ein, dass er hier eine Bekannte hat, die er schon vier Jahre nicht mehr gesehen hat - eigentlich würde er sie gern mal besuchen. Nach drei Stunden, so gegen zehn, hab ich die Schnauze voll. Fährt denn hier kein Bus nach Częstochowa? Er weiß es zwar auch nicht genau, vor allem nicht, wann und wo, aber eine ältere Frau gibt uns wieder Kraft: Durch sie erfahren wir erst mal, dass und wo einer fährt. Auf dem langen Weg in den Ort beschließt Leszek, gleich mal dieses Mädchen zu besuchen. Vielleicht gibt sie uns etwas Geld? Ich bin nicht sehr erbaut. Ich will schnellstens nach Częstochowa, und das sag ich ihm auch. Natürlich, komm, das dauert nicht lange, dann fahren wir gleich nach Częstochowa. Ich folge widerwillig.
Zufällig treffen wir Iwona mit ihrem Bruder vor ihrem Haus - sie fällt aus allen Wolken und freut sich wie eine Schneekönigin, Leszek wiederzusehen. Na ja, verständlich, nach vier Jahren! Sie bringt uns auch zum Bus, schenkt Leszek tatsächlich 200 Złoty und wartet mit uns noch die halbe Stunde, bis der Bus nach Lubliniec kommt, und sogar noch, bis er fährt. Ich bin leicht begeistert, als sie endlich aussteigt. Es war ziemlich nervenaufreibend für mich, in dieser Verfassung - übermüdet, gereizt, abwechselnd schwitzend und frierend und mit Blasen an den Füßen - einer Unterhaltung zuhören zu müssen, von der ich nichts verstehe.
Bis Lubliniec fahren wir lange. In Lubliniec warten wir noch mal so lange, bis der Bus nach Częstochowa kommt. Und diese Fahrt ist natürlich auch nicht kürzer als die vorhergehende.
Doch endlich: Częstochowa! Mein Herz beginnt, Sechzehntel zu klopfen. Da! Die ersten Hippies! An einer Ecke stand eine kleine Gruppe. Am Bahnhof steigen wir aus. Bis zum Kloster ist es noch weit zu laufen, die Sonne brennt, das Gepäck ist schwer - ich trage die ganze Zeit schon Leszeks Tasche mit - und: Es ist fast nirgends ein Durchkommen. Die Straßen, vor allem die Allee zum Heiligen Berg hoch, sind so gerammelt voll, wie ich es noch nie erlebt habe. Heute ist bzw. war Einzug der Wallfahrt. Man kann keinen Schritt normal gehen, laufend muss man sich durchboxen, -treten und -schieben. Nach einer Stunde (!) haben wir's bis auf den Platz vorm Großen Tor geschafft. Da beginnt es zu regnen. Innerhalb von zwei Minuten hat sich das anfängliche Nieseln zum richtigen Guss entwickelt. Viele geraten in Panik, am Großen Tor setzt ein Rein- und Rausgerenne ein. Da kommen wir jetzt nicht mehr durch. Leszek hat das ebenfalls richtig erkannt, als er vorschlägt, hier stehen zu bleiben und den Regen vorbei zu lassen. Wir stellen das Gepäck an die Mauer, ich gebe ihm meine Plane zum Umhängen und ziehe selbst die Parka an.
Ja, den Regen vorbei lassen! Wir hatten angenommen, das sei nur ein vorübergehender Schauer, als es aber nach einer Stunde immer noch wie aus Eimern gießt, hab ich's dicke. Mir klappern schon sämtliche Knochen, alles, aber auch alles, ist durchgeweicht und dazu noch barfuß! Ich sage zu Leszek, komm, wir versuchen reinzukommen, koste es, was es wolle. Es kostet ganz schön was. Mindestens Kraft und Nerven wie Drahtseile. Das ganze Innengelände des Klosters ist ein einziges Chaos. Am ersten Tor geht es ja noch, aber am zweiten ist ein Stau, weil mehr durch wollen, als das Tor fassen kann, und mindestens ebenso viel zurück. Wenn man nicht Acht gibt, besteht ernsthaft die Gefahr, zertreten zu werden. Eine halbe Stunde lang kommen wir nicht mehr vorwärts. Langsam krieg ich auch mit, dass wir und alle, die rein wollen, im Unrecht sind: Das ist ein Ausgang.
Leszek ruft mich. Komm, meint er, bloß raus, das ist doch sinnlos. Da hat er Recht. Wir kämpfen uns zurück, runter vom Berg, da ist ein Café mit überdachtem Vorplatz. Es hat zwar zu, aber unter dem Dach sind wir erst mal vorm Regen geschützt, der auch allmählich nachlässt. Wir reißen uns die nassen Umhänge vom Leib, breiten das Geklitsche notdürftig aus, und ich friere wie ein Weltmeister. Die anderen Massen, die hier unterstehen, sind alle noch schön trocken, ich beneide sie. Unversehens wird mir entsetzlich schlecht, ich kriege richtige Unterleibskrämpfe, krümme mich und stöhne. Leszek schlägt vor, zu seinem Bekannten hier zu gehen. Ich frage, wohnt er weit? Ja, am anderen Ende der Stadt. Das ist mir zu viel. Ich sage, mir ist schlecht, ich kann überhaupt nicht mehr, geh nur alleine, ich finde mich schon irgendwohin. Nach einer Weile zieht er ab: Cześć, vielleicht sehen wir uns irgendwo mal wieder!
Ich habe schon ein paar Typen drüben rumlaufen gesehen, einige sahen sogar aus wie Deutsche. Mir ist eine wunderbare Idee gekommen: die Sankt-Josef-Kapelle! Dort fand doch ab und zu mal die Hippie-Messe statt. Vielleicht haben sie sie auch jetzt wegen des Regens geöffnet, und es sind ein paar Leute dort. Gedacht, getan. Zitternd, bibbernd und triefend laufe ich hoch. Mein Herz macht einen Freudensprung: Vor der Kapelle stehen die Leute! Die Kapelle ist wirklich offen! Ich gehe rein. Drin sind sämtliche Bänke vollgerammelt - mit Hippies! Es ist schön warm. Ich lasse mein Gepäck fallen, lehne mich neben die Tür und schaue mir das Ganze andächtig an. Endlich! Jetzt kann mein Festival losgehen.
Einer erzählt und gibt Anweisungen. Die Leute singen. Ich schaue nach bekannten Gesichtern aus. Eine ganze Weile entdecke ich niemanden. Da läuft plötzlich einer vor mir vorüber zur Tür: Michał!
Ich schreie: "Michał!"
Er dreht sich um, sieht mich, schreit los: "Neila!"
Wir sind vor Freude wie aus dem Häuschen, umarmen uns, lachen, singen und tanzen. Dann schleppt er mich mit hinter zu seinen Leuten. Ich erzähle ihm das Malheur mit dem Regen. Sofort packen wir alles aus, legen und hängen es zum Trocknen auf. Er gibt mir ein trockenes Handtuch, und ich trockne mich ab. Aber du bist ja barfuß! Ja, sag ich, und erkläre ihm das. Er wiederum erklärt mich für völlig verrückt, auch seine Freunde lachen. Einer konstatiert kategorisch, das Wichtigste sei, dass ich erst mal Schuhe hätte, und drückt mir auch gleich ein Paar alte blaue Turnschuhe in die Hand. Sie sind mir zwar viel zu groß, aber ich freue mich. Na, bin ich nicht wie ein Vater zu dir? Ja, sage ich, und Michał meint, er sei Vater und Mutter zugleich. Nun berichtet er erst mal, was in den Tagen hier so los gewesen ist. Drei Hare-Krishna-Tage; er ist ganz begeistert, und ich ärgere mich ein bisschen, dass ich heute erst gekommen bin. Und das Größte: Helmut und Wolf sind da, unsere beiden Freunde aus Rothenburg! Ich denke, ich höre nicht richtig. Helmut und Wolf, sagst du? Helmut und Wolf?! Ich werd nicht wieder! Und Helmut hat mir in Rothenburg noch ganz traurig gesagt, das sei das erste Jahr, in dem er nicht in Częstochowa sein werde. Und Cygan und Zawisza sollte ich grüßen! Und jetzt sind sie hier! Wo sind sie jetzt überhaupt? Sie wollten in die Stadt, sie werden im Laufe des Abends schon noch hierher kommen.
Nach einer Zeit gehen Michał und ich mal raus, um eine zu rauchen. Ich verteile meine sämtlichen Karo, die ich noch habe. Als wir wieder reinkommen, sehe ich Jacek da sitzen, mit dem ich voriges Jahr von hier nach Warschau getrampt bin. Ich stürme auf ihn zu: "Hej, Jacek!"
Er scheint nicht ganz zu wissen, wo er mich hinstecken soll, guckt mich groß an und überlegt angestrengt.
"Er kennt mich nicht mehr!" rufe ich.
Doch langsam scheint es bei ihm zu dämmern: "Doch, warte mal... letztes Jahr sind wir zusammen nach Warschau getrampt, stimmt’s?"
Der Groschen ist gefallen.
"Neila, stimmt‘s?"
Ja! Wir drücken uns die Hand, dann schiebt mich Michał schon weiter. Es dauert nicht lange, da ist die Versammlung hier drin beendet. Langsam drängt alles nach draußen. Um Michał und mich versammeln sich so nach und nach alle Wrocławer. Sie wollen heute Abend schon wieder nach Hause fahren, mit dem Zug. Erst soll aber noch eine Messe sein, auf einer Wiese hinter dem Kloster. Ich erfahre, dass die Hippies dieses Jahr aus dem Kloster vertrieben worden sind. Die Bullen hatten den Priestern ein Ultimatum gestellt. Angedroht waren Wasserwerfer und Tränengas...
Plötzlich sehe ich Wolf. Ich rase los wie eine Verrückte, schreie, auch er schreit, wir fallen uns um den Hals, wirbeln herum und können uns gar nicht wieder fassen. Ein deutsches Mädchen ist mit ihm, sie und ihre Freundin haben sie in Prag aufgegabelt. Sie kommen aus - Merseburg! Ich grinse. Aber wo ist Helmut? Weiß nicht, sagt Wolf, ich suche ihn grade. So zieht er weiter und hält nach Helmut Ausschau.
Kurz, nachdem Leszek seine Fahrkarte geholt hat, müssen wir aufbrechen. Im Zug schlafe und wache ich abwechselnd, schaue mir den Sonnenaufgang an und träume vom warmen Tag. Wo sind deine Schuhe, fragt Leszek. Ich muss lachen.
Als wir in Opole ankommen, fühl ich mich wieder mal wie durch den Wolf geleiert.
"Mir tut alles weh." Jetzt lacht Leszek.
Auf dem Stadtplan suchen wir erst mal die Straße nach Częstochowa. Es ist die Ozimska, und bis dorthin ist ein ansehnliches Stück noch zu laufen. Doch schließlich haben wir's geschafft, sind am Ende der Stadt angelangt und stellen uns kurz hinter einer Brücke auf. Trotz oder vielleicht wegen der frühen Morgenstunde hält kein Schwein. Leszek sitzt unter einem Baum und singt die ganze Zeit - er hat eine schöne Stimme. Ab und zu lässt er auf die Autos gemünzte Bemerkungen los, wie:
(pathetisch) "Wrocław!"
(verächtlich) "Syrena!" oder
(dramatisch mit leicht komischem Einschlag) "Jedzie takim trupem, a udaje że to samochód!"*)
Auch bei mir stellt sich mit den ersten brüchigen Tönen, die meine Gesangskehle hervorbringt, ganz allmählich wieder eine Trampstimmung ein. Schließlich nimmt uns doch einer mit, allerdings nur bis Ozimek. Dort stehen wir uns die Beine in den Bauch; die Straße ist alle halbe Stunde zwanzig Minuten lang blockiert von Kirchgängern und -fahrern.
Leszek fällt plötzlich ein, dass er hier eine Bekannte hat, die er schon vier Jahre nicht mehr gesehen hat - eigentlich würde er sie gern mal besuchen. Nach drei Stunden, so gegen zehn, hab ich die Schnauze voll. Fährt denn hier kein Bus nach Częstochowa? Er weiß es zwar auch nicht genau, vor allem nicht, wann und wo, aber eine ältere Frau gibt uns wieder Kraft: Durch sie erfahren wir erst mal, dass und wo einer fährt. Auf dem langen Weg in den Ort beschließt Leszek, gleich mal dieses Mädchen zu besuchen. Vielleicht gibt sie uns etwas Geld? Ich bin nicht sehr erbaut. Ich will schnellstens nach Częstochowa, und das sag ich ihm auch. Natürlich, komm, das dauert nicht lange, dann fahren wir gleich nach Częstochowa. Ich folge widerwillig.
Zufällig treffen wir Iwona mit ihrem Bruder vor ihrem Haus - sie fällt aus allen Wolken und freut sich wie eine Schneekönigin, Leszek wiederzusehen. Na ja, verständlich, nach vier Jahren! Sie bringt uns auch zum Bus, schenkt Leszek tatsächlich 200 Złoty und wartet mit uns noch die halbe Stunde, bis der Bus nach Lubliniec kommt, und sogar noch, bis er fährt. Ich bin leicht begeistert, als sie endlich aussteigt. Es war ziemlich nervenaufreibend für mich, in dieser Verfassung - übermüdet, gereizt, abwechselnd schwitzend und frierend und mit Blasen an den Füßen - einer Unterhaltung zuhören zu müssen, von der ich nichts verstehe.
Bis Lubliniec fahren wir lange. In Lubliniec warten wir noch mal so lange, bis der Bus nach Częstochowa kommt. Und diese Fahrt ist natürlich auch nicht kürzer als die vorhergehende.
Doch endlich: Częstochowa! Mein Herz beginnt, Sechzehntel zu klopfen. Da! Die ersten Hippies! An einer Ecke stand eine kleine Gruppe. Am Bahnhof steigen wir aus. Bis zum Kloster ist es noch weit zu laufen, die Sonne brennt, das Gepäck ist schwer - ich trage die ganze Zeit schon Leszeks Tasche mit - und: Es ist fast nirgends ein Durchkommen. Die Straßen, vor allem die Allee zum Heiligen Berg hoch, sind so gerammelt voll, wie ich es noch nie erlebt habe. Heute ist bzw. war Einzug der Wallfahrt. Man kann keinen Schritt normal gehen, laufend muss man sich durchboxen, -treten und -schieben. Nach einer Stunde (!) haben wir's bis auf den Platz vorm Großen Tor geschafft. Da beginnt es zu regnen. Innerhalb von zwei Minuten hat sich das anfängliche Nieseln zum richtigen Guss entwickelt. Viele geraten in Panik, am Großen Tor setzt ein Rein- und Rausgerenne ein. Da kommen wir jetzt nicht mehr durch. Leszek hat das ebenfalls richtig erkannt, als er vorschlägt, hier stehen zu bleiben und den Regen vorbei zu lassen. Wir stellen das Gepäck an die Mauer, ich gebe ihm meine Plane zum Umhängen und ziehe selbst die Parka an.
Ja, den Regen vorbei lassen! Wir hatten angenommen, das sei nur ein vorübergehender Schauer, als es aber nach einer Stunde immer noch wie aus Eimern gießt, hab ich's dicke. Mir klappern schon sämtliche Knochen, alles, aber auch alles, ist durchgeweicht und dazu noch barfuß! Ich sage zu Leszek, komm, wir versuchen reinzukommen, koste es, was es wolle. Es kostet ganz schön was. Mindestens Kraft und Nerven wie Drahtseile. Das ganze Innengelände des Klosters ist ein einziges Chaos. Am ersten Tor geht es ja noch, aber am zweiten ist ein Stau, weil mehr durch wollen, als das Tor fassen kann, und mindestens ebenso viel zurück. Wenn man nicht Acht gibt, besteht ernsthaft die Gefahr, zertreten zu werden. Eine halbe Stunde lang kommen wir nicht mehr vorwärts. Langsam krieg ich auch mit, dass wir und alle, die rein wollen, im Unrecht sind: Das ist ein Ausgang.
Leszek ruft mich. Komm, meint er, bloß raus, das ist doch sinnlos. Da hat er Recht. Wir kämpfen uns zurück, runter vom Berg, da ist ein Café mit überdachtem Vorplatz. Es hat zwar zu, aber unter dem Dach sind wir erst mal vorm Regen geschützt, der auch allmählich nachlässt. Wir reißen uns die nassen Umhänge vom Leib, breiten das Geklitsche notdürftig aus, und ich friere wie ein Weltmeister. Die anderen Massen, die hier unterstehen, sind alle noch schön trocken, ich beneide sie. Unversehens wird mir entsetzlich schlecht, ich kriege richtige Unterleibskrämpfe, krümme mich und stöhne. Leszek schlägt vor, zu seinem Bekannten hier zu gehen. Ich frage, wohnt er weit? Ja, am anderen Ende der Stadt. Das ist mir zu viel. Ich sage, mir ist schlecht, ich kann überhaupt nicht mehr, geh nur alleine, ich finde mich schon irgendwohin. Nach einer Weile zieht er ab: Cześć, vielleicht sehen wir uns irgendwo mal wieder!
Ich habe schon ein paar Typen drüben rumlaufen gesehen, einige sahen sogar aus wie Deutsche. Mir ist eine wunderbare Idee gekommen: die Sankt-Josef-Kapelle! Dort fand doch ab und zu mal die Hippie-Messe statt. Vielleicht haben sie sie auch jetzt wegen des Regens geöffnet, und es sind ein paar Leute dort. Gedacht, getan. Zitternd, bibbernd und triefend laufe ich hoch. Mein Herz macht einen Freudensprung: Vor der Kapelle stehen die Leute! Die Kapelle ist wirklich offen! Ich gehe rein. Drin sind sämtliche Bänke vollgerammelt - mit Hippies! Es ist schön warm. Ich lasse mein Gepäck fallen, lehne mich neben die Tür und schaue mir das Ganze andächtig an. Endlich! Jetzt kann mein Festival losgehen.
Einer erzählt und gibt Anweisungen. Die Leute singen. Ich schaue nach bekannten Gesichtern aus. Eine ganze Weile entdecke ich niemanden. Da läuft plötzlich einer vor mir vorüber zur Tür: Michał!
Ich schreie: "Michał!"
Er dreht sich um, sieht mich, schreit los: "Neila!"
Wir sind vor Freude wie aus dem Häuschen, umarmen uns, lachen, singen und tanzen. Dann schleppt er mich mit hinter zu seinen Leuten. Ich erzähle ihm das Malheur mit dem Regen. Sofort packen wir alles aus, legen und hängen es zum Trocknen auf. Er gibt mir ein trockenes Handtuch, und ich trockne mich ab. Aber du bist ja barfuß! Ja, sag ich, und erkläre ihm das. Er wiederum erklärt mich für völlig verrückt, auch seine Freunde lachen. Einer konstatiert kategorisch, das Wichtigste sei, dass ich erst mal Schuhe hätte, und drückt mir auch gleich ein Paar alte blaue Turnschuhe in die Hand. Sie sind mir zwar viel zu groß, aber ich freue mich. Na, bin ich nicht wie ein Vater zu dir? Ja, sage ich, und Michał meint, er sei Vater und Mutter zugleich. Nun berichtet er erst mal, was in den Tagen hier so los gewesen ist. Drei Hare-Krishna-Tage; er ist ganz begeistert, und ich ärgere mich ein bisschen, dass ich heute erst gekommen bin. Und das Größte: Helmut und Wolf sind da, unsere beiden Freunde aus Rothenburg! Ich denke, ich höre nicht richtig. Helmut und Wolf, sagst du? Helmut und Wolf?! Ich werd nicht wieder! Und Helmut hat mir in Rothenburg noch ganz traurig gesagt, das sei das erste Jahr, in dem er nicht in Częstochowa sein werde. Und Cygan und Zawisza sollte ich grüßen! Und jetzt sind sie hier! Wo sind sie jetzt überhaupt? Sie wollten in die Stadt, sie werden im Laufe des Abends schon noch hierher kommen.
Nach einer Zeit gehen Michał und ich mal raus, um eine zu rauchen. Ich verteile meine sämtlichen Karo, die ich noch habe. Als wir wieder reinkommen, sehe ich Jacek da sitzen, mit dem ich voriges Jahr von hier nach Warschau getrampt bin. Ich stürme auf ihn zu: "Hej, Jacek!"
Er scheint nicht ganz zu wissen, wo er mich hinstecken soll, guckt mich groß an und überlegt angestrengt.
"Er kennt mich nicht mehr!" rufe ich.
Doch langsam scheint es bei ihm zu dämmern: "Doch, warte mal... letztes Jahr sind wir zusammen nach Warschau getrampt, stimmt’s?"
Der Groschen ist gefallen.
"Neila, stimmt‘s?"
Ja! Wir drücken uns die Hand, dann schiebt mich Michał schon weiter. Es dauert nicht lange, da ist die Versammlung hier drin beendet. Langsam drängt alles nach draußen. Um Michał und mich versammeln sich so nach und nach alle Wrocławer. Sie wollen heute Abend schon wieder nach Hause fahren, mit dem Zug. Erst soll aber noch eine Messe sein, auf einer Wiese hinter dem Kloster. Ich erfahre, dass die Hippies dieses Jahr aus dem Kloster vertrieben worden sind. Die Bullen hatten den Priestern ein Ultimatum gestellt. Angedroht waren Wasserwerfer und Tränengas...
Plötzlich sehe ich Wolf. Ich rase los wie eine Verrückte, schreie, auch er schreit, wir fallen uns um den Hals, wirbeln herum und können uns gar nicht wieder fassen. Ein deutsches Mädchen ist mit ihm, sie und ihre Freundin haben sie in Prag aufgegabelt. Sie kommen aus - Merseburg! Ich grinse. Aber wo ist Helmut? Weiß nicht, sagt Wolf, ich suche ihn grade. So zieht er weiter und hält nach Helmut Ausschau.
*) Fährt so eine Schrottkiste und tut, als wär’s ein Auto!
3 Kommentare:
On the road again - weiter so!
Zu 1976 hier etwas: http://www.polskieradio.pl/9/716/Artykul/384285,Hipis-rodem-z-PRL - dort besonders der Kommentar von Belfegor (unten), sowie
http://www.hipisi.pl/page.tresc.pl.49.html und
http://peaceworld.republika.pl/pielgrzymka.html.
Hier Jurek Apostol: http://www.youtube.com/watch?v=me0SmlZjNHY&feature=related
DO YOU REMEMBER?
http://www.youtube.com/watch?v=VY23wAUsFaQ&feature=related
Na Carynskim 1977:
http://www.youtube.com/watch?v=JjIgJUzkzMY
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